Dein Herz an Gottes Ohr
[110] Stellvertretend beten
Ein Priester und ein Ordenschrist – übrigens auch ein Bischof – hören kaum eine andere Bitte so oft wie diese: „Beten Sie für mich!“ Und diese Bitte kommt keineswegs nur von jenen, denen man sie zutraut.
Es gibt etwas wie ein Grundwissen darum, daß der Beter nicht nur an seiner eigenen Stelle steht, sondern auch an der Stelle seines Nächsten.
Die Bitte, für einen anderen zu beten, kennt drei Grundstellungen.
In der ersten heißt solches Bitten ums Gebet soviel wie: Bitte mit mir, bete mit mir, damit wir miteinander und mit dem Herrn in unserer Mitte zum Vater gehen!
Die zweite Grundstellung meint: Bitte für mich, bitte an meiner Stelle. Ich traue es mir nicht zu oder ich kann es nicht; ich glaube nicht ganz oder meine, nicht ganz zu glauben, aber ich glaube sozusagen an deinen Glauben!
Die dritte Grundstellung: Jemand bittet um das stellvertretende Gebet für einen anderen, der vielleicht gar nicht weiß, daß für ihn gebetet wird, ja es vielleicht nicht einmal will.
Was bedeutet stellvertretendes Gebet für einen, der sozusagen nicht „im Bunde“ mit dem Glauben des Beters ist?
[111] Jeder ist er selbst und das Ganze, die anderen, die wie auch immer zu ihm gehören. Seine Freiheit ist nicht zu trennen von dem Atemraum dessen, was in seiner Welt, was in der offenbaren oder geheimen Brennweite seiner Kommunikation geschieht. Nicht nur, was ich tue, nicht nur, was von mir ausgeht, bestimmt mich, sondern auch, was auf mich zukommt. Und hier gibt es eine einzigartige Macht der Liebe, des Ja, das zu mir gesprochen wird. Es ersetzt nicht meine Freiheit, aber es „beatmet“ sie, weht ihr jenen Wind zu, aus dem das, was in ihr glimmt, wieder angefacht werden und aus sich selbst entbrennen kann.
Im stellvertretenden Beten ist freilich ein noch tieferes Geheimnis umschlossen. Wirksame Stellvertretung bis ins Innerste und Tiefste hinein vermag nur einer, jener, der die Freiheit des Menschen geschaffen hat. Die göttliche Freiheit kann von innen her mit der menschlichen kommunizieren. Der Sohn Gottes ist Mensch geworden, er hat an unserer Stelle das Ja zum Vater gesprochen, welches wir in ein Nein verkehrt hatten. Er hat unsere Last getragen, wir sind wahrhaft drinnen in seiner Todeshingabe am Kreuz.
Indem aber er uns schenkt, aus seinem Ja neu Ja sagen, neu mit ihm uns dem Vater schenken zu dürfen, gibt er uns eine wunderbare weitere Macht: uns zu verbinden mit seiner stellvertretenden Liebe, sie uns zu eigen zu machen in der betenden Kommunion mit ihm.
Wer von seiner Liebe getroffen wird, der kann im Grunde nicht anders, als sich mit dieser Liebe des Herrn für die anderen, für alle zu verbinden. Er fügt nichts der Erlösungstat Jesu hinzu, dies ist weder nö- [112] tig noch möglich. Aber er ist sozusagen ein Spiegel, der ihr Licht auffängt und weiterstrahlt, so daß es umso heller und weiter den Raum menschlicher Geschichte ausleuchtet. Mit dem Herrn, mit seinem Beten, Leben und Leiden sich zu vereinen, um inmitten des Nein das Ja zu leben und für jene, die Nein sagen, das Ja greifbar und ergreifbar werden zu lassen, dazu sind wir miteinander und füreinander gerufen. Wir dürfen mit Jesus das Leben der anderen zu Gott „beten“, sie dürfen unser Gebet, wir dürfen ihr Gebet sein.