Dein Herz an Gottes Ohr

[115] Ein Gott von Lebenden und nicht von Toten

Die Antwort Jesu an die Sadduzäer, die nicht an die Auferstehung der Toten glauben, eröffnet eine Sicht der Welt. Wenn Gott der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist, dann hat es nicht damit sein Bewenden, daß diese tot sind. Denn Gott ist nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden. Ihm leben alle (vgl. Mt 22,23–33).

Wenn sie ihm leben, dann können wir, mit ihm im Gebet kommunizierend, mit ihnen kommunizieren. Es ist das Gegenteil von irgendeiner „Jenseits-Beziehung“, die sich an Gott allein, an seiner einzigen und alles umfassenden Lebendigkeit vorbeidrückt, das in der Macht des Todes Entzogene doch wieder heimlich herüberziehen will in die Welt unseres Erprobens und Verfügens. Im Gegenteil. Jene, die für Gott lebendig sind, sie sind verwahrt unter Gottes heiliger Macht. Aber diese heilige Macht Gottes selber ist nicht ein von den Gewittern der Unnahbarkeit entzogener Berg, sondern der je Größere, je Geheimnisvollere, je Künftige ist zugleich der je Nähere. Sein Sohn hat uns den Zugang zu ihm eröffnet, prosagogé, ein neutestamentlich bedeutsames Wort (vgl. Röm 5,2; Eph 2,18; 3,12). In dieser Zugänglichkeit Gottes aber sind jene zugänglich, die bei ihm und in ihm sind. Erinnerung beugt sich für den Glaubenden [116] nicht zurück in ein entsunkenes Es-war-einmal, sondern streckt sich nach vorne aus, in den gegenwärtigen Herrn hinein, und findet in ihm das, dessen sie sich erinnert, in einer neuen, verwandelten, erfüllten Gegenwart.

Wir sind die vom gegenwärtigen Gott Gerufenen, wir können ihn anrufen, wir können in ihm die anrufen, die bei ihm sind. In diese Dehnung unserer Zeiterfahrung hinein greift eine neue Gleichzeitigkeit, eine Communio ohne Ende und Grenze.

Die Heiligen anrufen, der Verstorbenen im Gebet gedenken, mit den in Gottes Herrlichkeit Vollendeten und für die seiner Begegnung Harrenden beten und sich in die Gemeinschaft des Gebetes hineingeben, welche der Tod nicht zerschneidet: das ist die Welt-Anschauung des Betens zu dem Gott, der nicht ein Gott der Toten ist, sondern der Lebenden, Gott, dem alle leben.