Das Wort für uns

[13] Gott ist der für uns

Der erste Anlauf: Stehen wir selbst in unserer Welt, in unserer Geschichte nicht so ähnlich da, wie dieses winzige Leben Jesu sich angesichts der Geschichte und Kultur der ganzen Menschheit in der Heilig-Land-Erfahrung ausnimmt? Sind nicht auch wir die Verschwindenden, die Erdrückten, die Relativierten, so daß wir kaum den Mut aufbringen, wir selber zu sein? Heute, da die ganze Geschichte vor uns offenliegt, heute, da wir unser eigenes Dasein vor den Augen der ganzen Welt zu leben haben, drückt uns dies besonders. Wir erleben so hart wie kaum eine Generation zuvor die Verlorenheit, die Isolierung, die Einsamkeit des einzelnen.

Und was steckt hinter dieser Erfahrung? Zutiefst wohl dies, daß wir den Eindruck haben: Für mich interessiert sich doch keiner. Das, was mich wirklich angeht, was mich bewegt, worum es mir zu tun wäre, läßt die anderen kalt. An meinem Innersten strömt der Strom des Lebens, seiner Interessen und Funktionen vorbei, und ich bleibe im toten Winkel. Gewiß, alle jene, die Anklang finden wollen, alle, die mich umwerben, [14] alle die wollen, daß ich ihnen ihre Ware, ihre Überzeugung, ihre Politik abkaufe, versuchen, diesen Eindruck zu zerstreuen.

Man sagt: Gerade für dich bin ich da, gerade deine Situation interessiert mich, gerade das, worum es dir geht, ist bei mir aufgehoben. Aber solches Interesse „für mich privat“, das dann doch nur ausgenutzt wird für irgendein wirtschaftliches oder gesellschaftliches Ziel, steigert am Ende nur jene geheime Enttäuschung, jene verborgene Hoffnungslosigkeit, die dabei bleibt: Mit mir ist nichts, ich bin uninteressant, ungeborgen, ich verklinge ohne Widerhall im Lärm der Welt.

Das Wort ist Fleisch geworden, das aber heißt: Hier interessiert sich einer für uns, der nichts davon hat. Gott hat alles, und wenn er Mensch wird, so hat er nichts davon. Er wird Mensch nur für uns. Gottes Interesse für uns teilt nicht nur freundliche Geschenke aus, während er selbst in Distanz bleibt, sondern sein Interesse für uns treibt ihn hinein in unsere Situation. Er kommt dorthin, wo wir sind, er steigt ein in unser Leben. Das Wort, das bei Gott ist und Gott selbst ist, wird, was wir sind, wird Fleisch. Er [15] interessiert sich mit sich selber, mit seinem Innersten für uns, so sehr, daß er sich für uns aufs Spiel setzt.

Wenn die Grundbotschaft des Christentums heißt: Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, dann ist dieses Interesse Gottes an uns in der Tat die innerste Mitte des Christseins. Dann aber wird das Leben insgesamt anders. Dann ist der Mensch unendlich kostbar geworden, dann gewinnt er – ohne den Krampf einer Selbstüberhebung ins Titanische – göttliche Dimension. Er bleibt auf dem Boden, er bleibt dieser Arme und Relative, er bleibt dieser Endliche – aber seine eigene Endlichkeit und Relativität werden zum Lebensraum Gottes, zum Raum dessen, der ihn unendlich liebt.

Wir sprachen vom Wir, sprachen von dem Menschen. Aber die Menschwerdung Gottes, die Fleischwerdung des Wortes bleibt nicht im bloß Allgemeinen, bleibt nicht im bloß Kollektiven. Fraglos, wir alle gehören zusammen, weil Gott zu uns gehört in Jesus Christus. Doch diese neue Gemeinschaft, die er stiftet, dieses neue Wir der Menschheit löscht gerade das Ich nicht aus, sondern schenkt ihm seinen unendlichen Wert.

[16] Die Schrift kennt nicht allein jenes umgreifende „Für uns“; nein, wie Paulus es erfahren hat, so gilt es für jeden einzelnen: „Was ich noch zu leben habe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat“ (Gal 2,20).

Das „Für mich“ ist der Brennpunkt des Interesses Gottes. Und dies verschließt mich nicht in mir selbst, im Gegenteil, es reißt mich aus mir heraus, es führt mich aus dem Gefängnis heraus, in dem ich vermauert bin. Ich werde von der Dynamik dieses Daseins Gottes für mich hinausgetragen über alle Rotation um mich selber, ich werde geöffnet in die universale Dimension des „Für die anderen“, des „Für alle“. Befreiung zu mir und Befreiung von mir sind die beiden Strophen des einen Heiles, der einen Erlösung, die uns darin angesagt ist, daß das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat.