Das Wort für uns

[130] Die paradoxe Vermittlung: das Kreuz

Zukunft ohne Grenzen, Kommunikation ohne Grenzen, die Totalität von Zeit und Raum: solches sind die Dimensionen der Herrschaft Gottes, seines Reiches. Und doch passiert das, was anscheinend im baren Widerspruch zu solcher Botschaft steht: Es passiert das Kreuz. Ja, Jesus gibt sich ganz in die Hände des Vaters, Jesus hat nur von ihm her seine Zukunft – aber der Vater nimmt ihn so schockierend beim Wort, daß diese Zukunft heißt: Nicht-mehr-Sein, Untergang, Zusammenbruch.

Der Nullpunkt der absoluten Erniedrigung und Entäußerung wird zum Ort, an dem sich die Botschaft vom Reich bewährt, an dem sie ihre neue radikale Wahrheit entbirgt. Herrschaft Gottes ist nicht eine Hilfsaktion des Allerhöchsten, damit der Mensch doch nur sich selbst findet; nein, an ihm, an ihm allein hängt alles. Und nur wenn der Mensch seine eigenen Ideen, wie es gehen soll und gehen kann, radikal verkauft, läßt er Gott die Freiheit, daß er die ganze, die neue Zukunft schenken kann. Das Kreuz ist nicht eine Krise, die um der besseren [131] Dramatik willen auf Ostern hin einzuplanen wäre. Das Kreuz ist der Ernstfall der Herrschaft Gottes, die eben Gott Gott und den Menschen Mensch, Geschöpf sein läßt.

Aber das Kreuz ist noch mehr. In ihm wird die Botschaft vom Reich Gottes als Botschaft von der Liebe sichtbar, von der Liebe, die Gott ist. Am Kreuz passiert mit Gott etwas. Es ist sein Sohn, den er hingibt für die Welt, den er dorthin schickt, wo sie ist, wo wir sind. Es gibt nun, nachdem der Sohn zum Fluch und zur Sünde geworden ist (vgl. 2 Kor 5,21; Gal 3,13), nachdem er in die Verlassenheit, ins Warum, in den Abgrund gestiegen ist, keine Position, keinen Ort in der Welt mehr, der nicht ausgefüllt wäre von Gott selbst, der nicht Ort wäre, an dem Gott seine Liebe gegenwärtig setzt, an dem Gott zu Gott sein antwortendes Ja spricht. Erst jetzt wird die Herrschaft Gottes wahrhaft universal.

Auch der Nullpunkt des Todes, der Schuld und der Einsamkeit, auch das zukunftslose Abreißen der Zeit: kurzum, alles wird einbegriffen in die Herrschaft Gottes, wird verwandelt in neue Zukunft. Vom Nullpunkt des Kreuzes aus [132] eröffnet sich der grenzenlose Raum der neuen Welt, die grenzenlose Zeit der absoluten Zukunft.

Eingehen in das Reich Gottes, eintreten in seine Herrschaft heißt aber eintreten in den Kontext dieser Liebe, in ihre Logik, in ihr Geschick. Am Kreuz ist das Wort der Liebe – und ein anderes Wort hat der Gott, der Liebe ist, nicht – in seine äußerste Konsequenz hineingesagt, es sagt sozusagen alles aus sich heraus, was in ihm drinnen ist. Und wer dieses Wort glaubend annimmt, der entdeckt darin das universale Wort der Welt, das Wort, das alle Dunkelheiten und Rätsel löst, ohne sie zu zerstören oder platt zu überblenden. Und er wird selbst zum Wort der Liebe, das je neu in der eigenen Situation sich hineinsagt in die Welt, sie neu deutet, ja neu schafft.

Christlicher Weltdienst ist mehr als das Wahren einzelner Ordnungsvorstellungen, Normen, Grundwerte. Dies alles gehört hinzu, aber christlicher Weltdienst wahrt nicht nur, er schafft die Welt; denn er ist Dienst aus dem Geist, der gerade im Tod Jesu frei geworden ist.