Zu den Aquarellen und Zeichnungen von Klaus Hemmerle
„Es gibt nur ein Scheitern,
nicht mehr Kind zu sein“
E. M. Cioran
[13] Stets brennen Kerzen an seinem Grab, mit Blumenschmuck bringen die Menschen ihre Anhänglichkeit und ihre Verehrung zum Ausdruck. Bischof Klaus Hemmerle ist unvergessen. Er hat unser Herz angerührt.
Vielleicht gehören seine Urlaubsaquarelle aus Sardinien zum Intimsten, was wir von ihm kennen. Sie kommen mir vor wie persönliche Reliquien. Sie sind für mich kostbar. Und weil seine malerischen und zeichnerischen Äußerungen nichts als privaten Charakter tragen, ist die Frage erlaubt, ob Klaus Hemmerle ihre Veröffentlichung gutgeheißen hätte? Zu Lebzeiten wollte er es jedenfalls nicht. Er hat ohne weitere Absicht lediglich zur eigenen Freude gemalt und gezeichnet. Aber gerade das macht den Charme dieser Arbeiten aus und weckt unser Interesse: Er hat sich offensichtlich etwas an kindlicher Ursprünglichkeit bewahrt. Vielleicht beeinflußte ihn auch sein Vater, der Maler war und von dem er innerlich bewegt oft erzählte. Freunde der Familie meinen, seine witzige Art hätte er vom Vater.
Wenn ich Klaus Hemmerles frische und unkompliziert hergestellte Aquarelle sehe, vermag ich diese fröhlich zuversichtliche Gestimmtheit direkt und ungebrochen wahrzunehmen: Da sieh doch, wie er war! Etwas von seinem innersten Wesen kommt beim Betrachten der Ferienbilder herüber und macht sie für mich so liebenswürdig. Ich sehe ihn gewissermaßen wieder selbst vor mir, ohne daß dabei sein hohes Amt ehrfürchtigen Abstand verlangt. Aber so haben wir ihn ja oft erlebt: Er konnte seine Verantwortung gegenüber dem Auftrag als Bischof, seine ihm durchaus bewußte Würde und unseren Respekt durchbrechen, indem er einfach sein gutes Herz sprechen ließ, auf die Menschen zuging und sie fröhlich machte. Ob es jemand gab, der nach einem längeren Gespräch beim Verlassen des Bischofshauses nicht frohen [14] Mutes war? Die Aquarelle von Klaus Hemmerle machen mir sein Lachen sichtbar, und deshalb sollten sie auch gezeigt werden. Sie tun uns gut, wie er uns gut tat. Den Konflikt eines Menschen, der einerseits ein hohes öffentliches Amt zu bekleiden und damit eine gesellschaftliche Rolle zu erfüllen hat und der andererseits seine persönliche und private Weise zumindest in einem kleinen Rest von Freiraum zu leben versucht, macht folgende Begebenheit deutlich: Bei unserer ersten Begegnung in Aachen kurz nach seinem Amtsantritt zeigte er mir zaghaft die Aquarelle seines letzten Urlaubes. Ich muß wohl falsch reagiert und offensichtlich vorschnell mit künstlerischen Maßstäben argumentiert haben, denn er zeigte mir auch auf Bitten hin niemals mehr seine malerischen und zeichnerischen Notizen. Dafür bat er mich, seine Gedichte zu lesen, und als ich beeindruckt eine Veröffentlichung für angebracht hielt, wehrte er ab: „Nein, was meinen sonst die Leute, wozu ein Bischof noch Zeit hat?“
Ich glaube, wir tun Klaus Hemmerle keinen Gefallen, wenn wir seine Aquarelle und Zeichnungen formal zu analysieren, sie kunsthistorisch einzuordnen und sie darüber hinaus thematisch vorschnell zu interpretieren suchen. Irgendwo habe ich Angst, ich könnte dadurch etwas verletzen. Das heißt aber nicht, daß sie keinen künstlerischen Wert besitzen. Man merkt schon, daß Hemmerle offene Augen hatte, nicht nur für die Natur, sondern auch für das Gestaltungsanliegen der Kunst, und er dürfte beim Malen und Zeichnen durchaus informiert gewußt haben, wer so etwas vor ihm und neben ihm gemacht hat. Aber ich verkneife mir bewußt Namen, es wäre zu schade um diese edlen Kristalle eines lauteren Menschen. Ebenso will ich mich zurückhalten, was die thematische Seite betrifft. Natürlich fallen mir seine Themen ein wie Weg, Stadt, Tor, Mensch usw., am meisten lasse ich mich da von dem gezeichneten und im Wort beschriebenen Esel verführen, um ein besonders liebenswürdiges Sujet zu nennen. In allem dürfte Gott anwesend sein, was Klaus Hemmerle gedacht, gesagt und auch gemalt hat, alles wurde ihm zum Gleichnis, das sieht man schon. Aber wenn ich die Aquarelle anschaue, möchte ich ihn nicht predigen hören, wie gut er das auch konnte. Mir scheint er selbst von diesem Anliegen erfüllt. Wenn er malte und zeichnete, wollte er nur malen und nur zeichnen, er wollte schauen, nichts als schauen. Und liegt nicht in jeder Augenweide etwas vom geahnten und ersehnten Himmel?
Bei Durchsicht der über 500 Aquarelle und Zeichnungen fällt auf, daß billigste Papiere und einfachste Utensilien benutzt wurden. Es hat den Eindruck, als ob der Urlauber in Alghero zum Gemischtwarenhändler um die Ecke gegangen ist und dort nach einem Schulmalblock, einem Schulpinsel und Kinderfarben verlangte, auch ein Bleistift und ein Kuli taten es, den Bleistiftspitzer hatte er noch vom vorigen Jahr in der Tasche. Klaus Hemmerle war von der Lebensführung her ein einfacher und bescheidener Mensch. Dafür spricht auch die Tatsache, daß bis auf wenige Ausnahmen keine seiner Arbeiten datiert oder gar signiert worden ist. Er nahm sich persönlich anspruchslos zurück, ich glaube, er wollte arm sein. Und gerade das machte ihn so reich, und das macht mir auch seine Aquarelle und Zeichnungen so wertvoll. Ich denke, wenn er versucht hätte, auf Kunst zu machen, würde ich mich nicht dafür interessieren.
Zum Schluß sei mir folgende Bemerkung gestattet: Wenn Bischof Klaus Hemmerle im Atelier zu Besuch war, setzte er sich intensiv meinen Bildern aus. Er verstand überraschend viel von Formanalyse, er konnte sehen und erkannte spontan die Absicht des malerischen und zeichnerischen [15] Anliegens. Bei der künstlerischen Beurteilung, dem Fragen nach dem Gelingen oder Scheitern einer Arbeit, hielt er sich bescheiden zurück. Wenn er nach Stunden das Haus wieder verließ, war ich bestärkt und dankbar für diese Begegnung. Ich schäme mich heute, daß ich ihn als Künstler niemals angesprochen habe. So war er bei mir wie auch sonst ganz für andere da. Ein Glück, daß er wenigstens in seinem Urlaub etwas hatte nur für sich: Er wanderte, er malte und schrieb Gedichte, und er hatte einen Freund, der heute herrlich davon zu erzählen weiß.