Zur Einladung des 89. Deutschen Katholikentages nach Aachen
[15] Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
über Rhythmen kann man diskutieren; Rhythmen kann man unterbrechen, aber einen kairós, d.h. einen besonderen Zeitpunkt, eine besondere Chance, sollte man nicht verfehlen, weil sie etwas Einmaliges an sich hat. Und das möchte ich zu sagen wagen von der Einladung, die ich im Namen des Bistums Aachen und zugleich in Gemeinschaft mit der Stadt Aachen für das Jahr 1986 ausgesprochen habe.
Denn der Hintergrund, der mich dazu bewegt hat und der die Aachener dabei begeistert hat, gerade diesen Vorschlag und diese Einladung auszusprechen, sind die folgenden:
Zu den großen Wallfahrten seit dem Mittelalter – zu den größten Europas neben Rom und Santiago di Compostella – zählt die alle sieben Jahre stattfindende Heiligtumsfahrt in Aachen. Die letzten Gestaltungen dieser Heiligtumsfahrten haben gezeigt, daß sie nicht ein romantisches Fest der vergangenen Volksfrömmigkeit sind, sondern daß hier durchaus gegenwärtiges Sich-stellen der Wirklichkeit, unserer Geschichte und unserer Zukunft Platz haben. Es ist sehr bemerkenswert, daß solche, die recht kritisch gegen manche Formen der Volksfrömmigkeit eingestellt waren und gegen manches an Traditionen Vorbehalte hatten, und andere, die mehr glauben, daß man aus der Tradition und den Quellen leben muß, sich miteinander immer und immer wieder in einem zunehmend treffen: nämlich, daß Wallfahrt eine gegenwärtige Gestalt der religiösen und geistigen Äußerung ist. Menschen wollen miteinander unterwegs sein; Menschen wollen auf ein Ziel zugehen; Menschen wollen vorwärts schreiten; Menschen wollen dabei miteinander reden, und Menschen wollen dabei an die Quellen gehen. Dies zeigt sich in so etwas wie Wallfahrt.
[16] Deswegen ist gerade das Miteinander-auf-dem-Weg sein, das Sich-nicht-lassen, das Sich-nach-vorne-orientieren und das dabei zugleich Zu-den-Quellen-gehen etwas, was Menschen mehr denn je anzieht.
Eine zweite Dimension, die heute sehr wichtig ist, scheint mir die folgende zu sein: Wir stoßen andauernd an Grenzen, und doch müssen wir gerade mit Grenzen leben, an Grenzen leben und müssen unsere Grenzen als den Ort betrachten, an dem wir ans Ganze, das uns so oft eigentlich fehlt, stoßen.
Ich denke, daß die beiden Punkte: Wallfahrt zu den Quellen und Grenze, die ans Ganze stößt, die ans Ganze grenzt, für Aachen und für die Heiligtumsfahrt ganz besonders gelten. Denn hier werden die zentralen Geheimnisse der Menschwerdung in Aachen ins Blickfeld gerückt und ziehen Menschen an sich, auch aus anderen Ländern und Völkern, Menschen begegnen sich. Und es wird gerade 50 Jahre her sein, seit die größte Manifestation gegen den Nationalsozialismus überhaupt, die Heiligtumsfahrt 1937, stattgefunden hat, die das Zeichen war für einen gemeinsamen Widerstand gegen die Unmenschlichkeit. Ich denke, daß es 50 Jahre danach eine wirkliche Sache wäre, wenn hier wiederum Menschen aus unserem Volk und aus anderen Völkern in diese Wallfahrt einstimmten und im Zusammenhang und im Anschluß an diese Wallfahrt wirklich einen Katholikentag, eine Begegnung, einen Dialog, ein Miteinander-zu-den-Quell- und In-die-Zukunft-gehen zum Ausdruck brächten.
Daß Aachen ans Ganze grenzt, ist ebenfalls deutlich. Wir grenzen an andere Staaten Europas, wir grenzen – ich denke an Missio, Misereor und das Missionswerk der Kinder – wie kaum eine andere deutsche Stadt an die ganze Welt. Daß wir fürs Ganze da sind, daß wir uns überschreiten müssen nach Europa und überschreiten müssen in die Welt, das wird eigentlich in Aachen Gestalt. Ich denke, diese beiden Momente sind es, die es sehr aktuell sein lassen: die Frage, die Kardinal Macharski in der Abschlußveranstaltung von Düsseldorf – ein Wort von Kardinal Wyszinski aufgreifend – formuliert hat, uns persönlich noch einmal, zu stellen: „Wird Europa 2000 ein [17] Bethlehem sein?“ Diese Frage, ob unsere immer mehr anders und säkularisiert werdende Welt nicht auf eine neue Weise doch der Raum ist, in dessen Mitte Christus lebendig geboren werden kann, ist eine Realität, der wir uns stellen sollten, wenn wir auf das Jahr 2000 zugehen. Aachen mit seiner Angrenzerschaft an die Welt, das ist der Hintergrund, der durchaus es nicht nur zu einem lokalen, sondern zu einem säkularen, zu einem der Zeit und der Welt entsprechenden Ereignis werden lassen könnte, wenn wir nicht einfachhin die Heiligtumsfahrt zum Katholikentag umfunktionierten – da dächte niemand daran –, sondern im Anschluß an diese Heiligtumsfahrt, in ihrem Rahmen, eben auch einen deutschen Katholikentag, der so die Chance anderer Akzente hätte, nun in Aachen beheimaten könnten.
Wenn man sagt, Aachen sei eine zu kleine Stadt für einen Katholikentag, dann möchte ich sagen, daß Freiburg erstens auch nicht so schlecht war und noch kleiner als Aachen (der Freiburger Katholikentag war eine wunderbare Sache – wie ich überzeugt bin –, und wenn der Aachener so gut wird, bin ich ganz zufrieden). Zweitens möchte ich aber auch sagen, daß um Aachen herum durch die umliegenden, unmittelbar angrenzenden, im Nahverkehrsverbund liegenden Städte wie ein Herzogenrath oder Eschweiler, Stolberg und Würselen einen Lebensraum fast einer halben Million Menschen hat. Daß zum anderen die Chance der Begegnung mit den Wallfahrtsstätten und mit den bekannten Punkten in den Nachbarländern Belgien und Holland sehr gut gegeben ist. Daß in einem ersten Gespräch auch mit Bischöfen aus den Benelux-Staaten eine echte Freude über eine solche Begegnung durchaus verzeichenbar war. Dies sind einige zusätzliche Akzente. [18]
Ich bitte darum, daß Sie diese Einladung annehmen. Ich glaube, es könnte in der inneren und äußeren Gestalt der Katholikentage ein durchaus bedenkenswerter und denkwürdiger Schritt sein, wenn 1986 der deutsche Katholikentag in Aachen stattfände.