Herbert Falken, Christusbild – Menschenbild

1.

Zunächst – das hat mit der notwendigen Unmittelbarkeit zu tun –habe ich mir nach dem Rundgang vier Notizen gemacht. Die erste Notiz hieß: Die Bilder haben einen Inhalt, aber kein Sujet; die Bilder sind Knotenpunkte. Sie sind Knotenpunkte eines Geschehens zwischen Herbert Falken und der Sache, zwischen Herbert Falken und mir, zwischen der Sache und mir. Die Bilder stehen in sich, aber ich kann sie nicht von mir fort, neutralisierend, in ihre beruhigte Flächigkeit schieben. Ich kann mit ihnen nicht meine Wohnung und auch nicht meine Erinnerung schmücken, sondern die Bilder sind die Mitte eines Geschehens: Da ist einer, da lebt einer, da will einer nicht Beliebiges, sondern da ist einer, der zum Gestalten gerufen ist, und in diesem Prozeß entsteht ein Bild als Knotenpunkt dieses letzten und ganzen Sich-Stellens und Sich-Einbringens dem Geheimnis und dem Menschen, dem Nächsten gegen-über.

Die zweite Notiz steht in der Nähe der ersten: Das Gestaltete ist das Ich. Nicht in dem Sinn, als wären alle Bilder von Herbert Falken Selbstporträts oder Ansprachen, die nur in der Weise auf mich zielten, daß ich mich ihnen sozusagen moralisch stellen sollte. Hier wird kein Gegenstand gestaltet, sondern wir werden mit hineingenommen in den Vollzug des Selbstverständnisses des Malenden. Er malt, um ein anderer zu werden. Er malt seine elementare, mit seinem Dasein identische Erlösungssehnsucht. Er malt sein Sich-Stellen und wird so in dem, was er malt und wie er malt, ein anderer. Er gestaltet sein Ich, indem er etwas gestaltet. Aber nicht nur sein Ich, sondern auch das meine, denn dieses „Sieh!“, dieses „Ecce!“, das die Gebärde und Kraft des Bildes ist, betrifft: mich. Was geht mich unbedingt an? Wann bin ich betroffen? Wenn einer zu mit sagt: „Ecce!“, wenn ich aufgeboten bin zum Sehen. Dies geschieht hier aber nicht in jener harmlosen, beruhigten, schönen Innigkeit des „zum Sehen geboren“ von Goethe, die gewiß nicht verachtet, gewiß nicht heruntergespielt werden soll; aber es gibt eben doch auch jenes andere des Ecce homo. Wir sind zum Sehen geboren, aber zu einem anderen Sehen.

Das Dritte, was ich mir notiert habe: Alles kommt mit allem ins Spiel. Wir könnten mitunter erschrecken, wie Dinge ineinanderfließen, sich überlagern; wie scheinbar bloß formale Assoziationen zusammenkommen; es wird eingewandt: Man kann doch Jesus damit nicht zusammenbringen, das Geheimnis nicht zusammen mit so etwas abbilden. Die Dinge überlagern und assoziieren sich aber nicht aus einem Mutwillen, nicht aus einer hintergründigen Reflexion, sondern aus einem Zusammengespielt- und Zusammengefügtsein, in dem eines das andere provoziert, eines dem anderen zur Frage und vielleicht auch zur Botschaft wird. So entstehen Geflechte, in denen eigentlich – gerade weil sie so persönlich sind – alles, die Welt, das Ganze mit im Spiel ist. Aber auch dies geschieht wiederum nicht im Sinn des harmlosen, schönen Homo ludens, der selber dieses Spiel des Göttlichen nur ausbreitet, um es dann genießend zu betrachten, sondern hier werden Anstöße zum Spiel gegeben: das Spiel geht an in diesen Bildern. Es gibt kostbare Bilder, in denen das Spiel des Ganzen sich abbildet; aber es sind dann Epiloge des gespielten Spiels. Falkens Bilder bringen alles mit allem ins Spiel, aber als Impuls, als Anstoß. Das Spiel geht an. Wer das Bild sieht, bei dem geht, wenn er sich aussetzt, das Spiel an.

Und auf ein Viertes möchte ich aufmerksam machen. Man denkt nicht nur an sich selber und an das, was man gesehen hat, sondern auch die Formen prägen sich ein, die Gestalt. Diese Bilder sind Gestalt, aber auch hier wiederum Gestalt auf andere Weise als bei anderen Bildern. Ich kann sie nicht bloß vor mich hinhalten wie beispielsweise vielleicht ein Bild von Klee in seiner schönen Form, sondern diese Gestalt hier ist ein zugleich horizontaler und vertikaler Prozeß – besser: ein Prozeß, der in sich läuft, und ein Prozeß, der zu mir hinläuft; ein Prozeß, der so-zusagen in die Form hinein- und aus ihr herausspringt und der so erst die Form in sich selber Prozeß sein läßt. Gestalt ist Prozeß; Prozeß ist Gestalt.