Herbert Falken, Christusbild – Menschenbild

2.

Nun aber möchte ich mich von der Unmittelbarkeit der Eindrücke lösen und mich danach fragen, wer denn in diesem Spiel die Spieler seien. Ich frage danach, welches Geviert von lebendigen Polen miteinander im Spiel ist in diesen Bildern, ich habe vier Mitspieler entdeckt, von denen ich nicht sprechen kann, ohne daß ich zugleich schon das Spiel erwähne, das diese Spieler zusammenführt. Der erste im Spiel ist das ich: ich selbst. Dieses Ich wird in seiner Innerlichkeit, in seiner Einmaligkeit, in seiner Exklusivität und Inkommunikabilität dermaßen in den Grund gebohrt, daß ein Durchstoß ins „inferior intimo meo“, in das hinein ge- [7][Bild: Herbert Falken, Lichtblick Gesicht, 6. Station des Schevenhütter Kreuzweges, Tusche, Pastell 43x30 cm, 1985] [8] schieht, was tiefer, inwendiger ist als mein Innerstes. Ich wage – nicht aus frommer Attitüde oder vordergründig theologischer Absicht, sondern aus einer unmittelbaren Betroffenheit heraus dieses Wort der „Bekenntnisse“ von Augustinus zu zitieren (Conf. III 6, 11). Im Ich stoße ich durch zu jenem Er, das immer und immer wieder das Christusbild aufscheinen läßt als ein Bild, das mit mir zu tun hat.

Und so ist ein zweiter mit im Spiel: Er. Er kommt nicht in der frommen Absicht des Predigers, sondern in jenem Ernst, in jener Radikalität und Kompromißlosigkeit des abgehaltenen Ich, das sich nicht erträgt, aber den braucht und sucht, der es aushält. Und indem es sich Ihm ausliefert, indem dieses Er ins Spiel kommt, komme ich ins Spiel. Es ist nun nicht so, daß ich bei Ihm stehenbleiben darf, sondern Er stößt neu mich an, bringt neu mich ins Spiel: Ich – Er.

Aber in diesem Ich und Er tritt ein dritter auf. Dies scheint paradox, gerade weil die Beziehung exklusiv ist; gerade weil ich inkommunikabel, einmal und einmalig bin; gerade weil ich unabgebbar „serrato a me“, an mich gefesselt, mir aufgegeben bin – gerade darum entdecke ich den Menschen, die Menschheit, das Ganze.

Es gibt das Mitspiel des Allgemeinen: den Menschen, das Ganze, die Welt. Aber jetzt ist der Einzelne nicht mehr „Exemplar“, nicht mehr Individuum eines Genus oder einer Spezies, sondern das ist die „neue“ Allgemeinheit; sie geht nur durch das Nadelöhr der absoluten Einsamkeit. Es sind kommunikative Bilder, die durch das Nadelöhr der Einsamkeit hindurch mitteilsam sind und das Ganze aufschließen im innersten Punkt meiner selbst. Weil ich mich mir und Ihm stelle, entdecke ich den Menschen. Kann ich zum Menschen sprechen, kann ich den Menschen aussagen? Ausgerechnet das allgemeinste Bild in der ganzen Geschichte der Christenheit ist das Bild dessen, von dem die Umstehenden sagen können: „Seht, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz“ (Klgl 1,12). Das Einmalige, das Unvergleichliche wird der Einstieg ins Allgemeine; das ausgehaltene Ich läßt mich den Menschen entdecken, zum Menschen aufbrechen, das Ganze wahrnehmen. Diese Bilder lassen das Allgemeine, das Welthafte, das in einem nicht mehr moralisierenden Sinn Exemplarische sehen. Und indem die Menschheit ins Spiel kommt, kommt Er und komme ich ins Spiel. Im Spiel dieser drei geht eine andere, neue Allgemeinheit auf, die ich nicht mehr von mir ablösen kann, in die hinein ich mich vielmehr ausliefern muß; in ihr sind Ich und Er als der je Größere und je Andere.

Dann aber ist in allem – scheinbar wie ein Ergebnis, das zugleich Ereignis ist und doch eigens zu nennen, – ein viertes da: die Gestalt. Es ereignet sich, indem ich und Er und das Ganze im Spiel sind, ein Zusammengehören, ein Weg, der ein je konkreter ist. Ich muß ihn so gehen, und dann auch so – aber ich muß ihn jetzt so gehen, angesichts dieser konkreten Situation. Es muß so Gestalt gewinnen, ich kann nicht gestalten, wie ich will; so muß es sein: so und nicht anders. Dies ist das Typische der Form: „so und nicht anders“; aus der Fülle der vielen Bewegungen, der vielen Striche, der vielen Proben des Sich-Auslieferns entsteht ein Prozeß. Aber dieser Prozeß geht nur, bis ich sagen kann, „so und nicht anders“.

Und so leuchtet in diesem höchst konketen Weg und Prozeß das auf, was Zeichen und Sinn des Ursprungs ist: Ursprung, der Sein Wort, der Sein gültiges, göttliches Bild gibt. Das Ereignis zeitigt die Gestalt, eine Gestalt, die steht, die so aber gerade geht und ihre Allgemeinheit daher hat, daß sie individuell einmalig, ganz konkret hier geschieht. Dieses also ist in den Beobachtungen, die mir in einem zweiten Zugang kamen, die innere Struktur, das innere haltende Geflecht: das Geviert Ich und Er und das Ganze und die Gestalt, als Chiffre des Geheimnisses, als Chiffre des Göttlichen.