Dein Herz an Gottes Ohr

[156] „Und der Engel schied von ihr“

Alles hat seine Ordnung. Der Auftrag ist erfüllt. Der Engel verläßt Maria wieder (vgl. Lk 1, 38).

Aber ist das nur eine Ordnungssache? Ist der Abschied des Engels nicht ein Augenblick, der auch uns immer wieder eine besondere Achtsamkeit abfordert?

Maria gelang der Übergang. Der Engel ging fort, aber der Geist wirkte in ihr weiter; und er war es, der sie über das Gebirge trieb, um ihrer Base Elisabeth zu helfen und den Lobpreis der Großtaten Gottes zu singen.

Auch wir werden immer wieder oder wenigstens manchmal vom Engel gestreift. Ein Auftrag, ein Ruf, eine Sendung, ein Geschenk der Gnade, ein Licht werden uns zuteil. Aber wir können den Augenblick nicht festhalten, es geht weiter. Und sehr oft, wenn dann der Engel uns verläßt, verpassen wir den Übergang. Wir schließen uns innerlich in die große Stunde ein – und äußerlich geht das Leben weiter. Zwischen beidem tut sich eine Kluft auf. Wir sind in Gefahr, uns innerlich festzuträumen in das hinein, was war. Oder lassen wir uns wegschwemmen in das, was kommt? Dann ist das schon fortgeschwommen, was war, um nicht bloß gewesen zu sein, sondern um weitergetragen und eingemischt zu werden [157] in die Zukunft, um Sauerteig zu sein im Mehl der Alltäglichkeit. Auch uns kann nur weiterhelfen, was Maria weiterhalf: der Geist, der das Wort in ihr wachsen ließ und der sie zugleich forttrug, um zu dienen und Zeugnis zu geben. Der Mut zu den kleinen Schritten tut not, zum Hergeben der Stunde in die Nüchternheit des alltäglichen Weges und Tuns hinein – und dabei zugleich doch das Gedenken, das treu bleibt, weiterträgt, hütet, wachsen läßt.

Was hat Maria unterwegs getan? Die Frage führt nicht hinein in fromme Spekulationen. Es kann nicht anders sein: Sie wandte sich in der Zuwendung zu ihrem Wegziel zugleich hinein in sich selbst, in das in ihr lebende und wachsende Wort. Sie betete.

Das Wort mit uns tragen im Gebet, das uns zuteil ward, es so festhalten, daß daraus Öffnung für das Nächste und die Nächsten wird, sich so dem Nächsten und den Nächsten zuwenden, daß darin das Wort Gestalt wird – dieses Gebet tut auch uns not, wenn der Engel Abschied nimmt.