Theologie als Nachfolge

[157] Vollkommenes Gutsein heißt trinitarische Selbstverströmung

Der nächste Schritt Bonaventuras, der Sich-Verströmen als Grundbestimmung Gottes entfaltet, greift einen auch anderwärts von ihm ausgeführten, eigentümlichen Gedanken auf, den man mißverständlich mit der Bezeichnung „ontologisches Trinitätsargument“ belegen könnte;1 denn in seinem Zentrum steht das Grundmotiv des anselmischen ontologischen Arguments für die Existenz Gottes: Das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, schließt Existenz mit ein. Die Achse des bonaventuranischen Gedankengangs schwingt in der klassischen Bestimmung des Gutseins als Sich-Verströmen (bonum est diffusivum sui).

Gut ist das, was den Willen als erfüllend anzieht, das, woraufhin überhaupt also Streben zu zielen vermag. Liest man diese Bewegung jedoch vom Ziel, vom Wohin des Strebens und somit vom Guten selbst her, so heißt sie eben: Gut ist das, was das Streben erfüllt und zu sich bringt; gut ist das, was sich als gut mitteilt. Auch wenn wir einem Menschen sagen „Du bist gut“, so heißt dies doch: So, wie du bist, und das, was du bist, kann man sein wollen – und zugleich: Du bist so, daß du dich und dein Sein und Haben nicht für dich behältst, sondern daß es für mich etwas bedeutet und daß es von dir her zu mir herstrahlt, zu mir herkommt. Wenn der in unserer Zugangsbetrachtung markierte Wendepunkt von Vollkommenheit zu Gabe sich in metaphysischer Tradition ausdrücken läßt, dann gerade in dieser Bestimmung. Bonaventura versteht sie radikal, und das heißt: er versteht sie auf dem Hintergrund der christlichen Botschaft der Liebe; es heißt aber auch: er versteht sie als bis in ihr äußerstes Ende hineinzudenken. Und so eben erwächst ihm sein „rationalistisches“ Argument für die Trinität, von dem er freilich weiß, daß es einzig getragen ist durch die Positivität der Selbstgabe, der Selbstmitteilung des dreifaltigen Gottes in der Offenbarung. Der Kern des Gedankens: Wenn Gut-sein zu Gott gehört, Gut-sein aber Sich-selber-Geben heißt, dann gehört zum Selbst- [158] sein Gottes, zu seiner Gottheit, sich auf die vollkommenst mögliche Weise zu geben, auf jene Weise zu geben, über die hinaus keine größere gedacht werden kann. Vollkommen gibt sich Gott nur, wo er sein eigenes Wesen gibt, und er gibt sein vollkommenes Wesen nur dort vollkommen, wo es vollkommen empfangen werden kann, nur dort, wo Gott sich als Gott in sich selber setzt und als Gott in sich selbst empfängt. Daß dies nur in Dreiursprünglichkeit geschehen kann, haben wir bereits gesehen. Dann aber gehört es zum Gott-Sein Gottes, daß er dreifaltige Ursprünglichkeit ist. Und wo er sich als Dreifaltiger in seiner Fülle über sich hinaus gibt – gerade Bonaventura denkt an die Fülle der Gnade in Maria –, da bleibt doch diese Mitteilung nach außen „nur“ geschöpflich und setzt als solche die überbietende und vorgängige innertrinitarische Selbstmitteilung voraus. Selbst wenn man gegen das anselmische Argument die Frage erhöbe – die Bonaventura aus seiner Position nicht zu erheben braucht –, ob hier nicht ein unzulässiger Übergang von der Ordnung des Gedankens in die der Wirklichkeit vorliege, so hätte sein Argument dennoch dort Stringenz, wo der Weg nicht vom Wesen zur Existenz Gottes führt, wo also die Existenz Gottes als solche nicht bewiesen, sondern ausgelegt werden soll. Wenn Gott Gott ist, dann ist er das, worüber hinaus nichts Vollkommeneres gedacht werden kann, und wenn – durch Offenbarung erschlossen – der Gedanke der vollkommenen trinitarischen Selbstmitteilung der höchstmögliche ist, der das Gut-sein Gottes auszulegen vermag, dann trägt der Gedanke das Recht in sich, ihn als wirkliche Bestimmung des wirklichen Gottes zu betrachten. So „künstlich“ derlei Denkoperationen aufs erste erscheinen mögen, so wenig darf uns dies doch von der Mitte der leitenden Intuition abdrängen: Kommunikation, Selbstgabe, Selbstmitteilung ist, jedenfalls aufgrund der Offenbarung, das Höchste und Innerste, was uns vom Geheimnis des je größeren Gottes zu denken aufgetragen ist. Dann aber erreicht unser Denken Gott noch am ehesten in seinem unsäglichen Geheimnis, wenn es ihn als reine und radikale Communio, als Dreieinigkeit denkt. Wie sehr auch die großartigsten, auch die am tiefsten aus Offenbarung und er- [159] leuchtender Gnade erwachsenden Denkoperationen den heiligen Gott je unterbieten, ist Bonaventura gerade hier bewußt. Dem 6. Kapitel des Itinerarium, das denselben Gedanken darstellt, folgt das 7., das uns die reine Weggabe eigenen Spekulierens und Schauens in die bloße Initiative Gottes durchs „Sterben“ hindurch anempfiehlt. Als Kontext zur Collatio XI des Hexaemeron muß des weiteren die Collatio II gelesen werden, wo von der „ungestaltigen“ Weisheit als der Vollendung allen Wissens und Glaubens die Rede ist.


  1. Zum folgenden Hexaemeron XI, 11; vgl. Itinerarium VI, bes. 2; Breviloquium I, 2. ↩︎