Theologie in Fragmenten

[164] Zum Denkstil

Durch die Sprachgestalt geschieht die Kommunikation mit dem Vorgang des Gedankens. Er ist – zunächst – Vorgang in und durch die Sprachgestalt. Lesen wir das an der Sprachgestalt Baaders Erhobene nun nochmals, um darin uns vorzutasten zu dem, was an dieser Sprachgestalt unmittelbar signifikant ist für den Gedanken Baaders, versuchen wir also, aus dem Sprachstil Baaders vorzustoßen zu seinem Denkstil.

Bei solchem Unternehmen erhält der fragmentarische Charakter Baaderschen Sprechens einen neuen Stellenwert. Wenn nämlich gerade der Sprung ein Mittel ist, um Verbindungen aufzuhellen, die als solche in einem „durchgeführten“ Denken so nicht sichtbar würden, dann wird das Fragment zur Spiegelung des Ganzen, das als Ganzes gerade zu entgehen drohte, wo es nur im ganzen behandelt würde.

Baader liebt – es ist eine seiner Formeln – den alten Satz: Totum in toto et totum in qualibet parte.[5] Das Totum in qualibet parte ist, wenigstens faktisch, ein Punkt des Baaderschen Programms.

Wenn das Ganze in seiner Totalität zur Darstellung kommen sollte, so könnte dies nur im Gang durch die ungezählten Einzelheiten geschehen; sie aber wären nicht nur Eröffnung, sondern auch Verschattung des Ganzen, um dessentwillen sie zur Sprache kommen. Nur im direkten Durchstoß von einer – als solcher freilich nie direkt zu fassenden – Mitte zu extremen Punkten wird die Spann-und Bindekraft dieser Mitte ermeßbar. Der Vorstoß in die Mitte gelingt noch am ehesten in einer Formel, die sich aufs Entlegene, scheinbar Unverbundene anwenden läßt, ohne es zu verfremden.

Das Paradox, das gerade das Fragment aus dem Interesse am Ganzen bedingt sein läßt, wiederholt sich auch in Baaders Umgang mit dem mythischen Bild. Diese Bilder dienen ihm nicht zur Nivellierung des Je in ein Immer – Mythos als das, was nie geschah und immer geschieht –, sondern gerade zur Erhebung einer das Konkrete konstituierenden Vorgeschichte. Die mythischen Bilder sind kein Ersatz für Begriffe, sind auch nicht nur die Steigerung des Begriffs in die Anschauung, sondern sind „Erzählung“ einer dem Denken sich zeitigenden Urgeschichte, die sich zwar im Jeweils spiegelt, die aber dem Jeweils als Geschichte vorgeht.

Entsprechendes gilt auch von den für Baader eher noch zentraleren Schemata. In ihnen unterbietet sich für Baader nicht der Begriff, sondern er kondensiert sich, er wird, um es unbaaderisch zu sagen, transzendental. Die Anschaulichkeit, als Anschaulichkeit von Proportion, von [165] Beziehung, als welche sie in Baaders Schemata erscheint, sieht mehr als die eingrenzende Festlegung des Begreifens, ist allgemeiner als diese, allgemeiner freilich durch die größere Kraft, Konkretes in seiner Konkretheit aufzuschließen.

Eine ähnliche Spannung zwischen dem unmittelbar zu vermutenden Sinn eines Stilmittels und seiner Anwendung bei Baader findet sich auch in seinem Umgang mit Zitaten, in seiner Praxis von Exegese. Zitat ist der Absprung in den eigenen Ansatz, Exegese die Zeugung des eigenen Gedankens; sie sind nicht bloße Bestätigung, sondern – wenn auch überraschender – Vorgang: der Vorgang des Hörens und Umschauens, der Vorgang des Gesprächs für das eigene Wort, das um so mehr eigenes ist, als in ihm das Ganze sich reflektiert, reflektiert aber in einer neuen Perspektive.

Die Polemik, die Baaders Werk durchzieht, hat ebenfalls einen antithetischen Effekt. Baader schärft Positionen an, um durch diese Anschärfung eine um so durchreflektiertere Mitte[6] zu formulieren. Man hat ihn immer wieder als einen Denker der Mitte bezeichnet, Mitte freilich nicht im Sinn eines Sowohl-als-auch, sondern im Sinn eines Absprungs von Einseitigkeiten, gegen die er sich selbst einseitig absetzt, ohne in der Negativität der Absetzung zu verharren.

Mit diesem positiven Mühen um die Mitte hängt ein Weiteres zusammen, was die glatte Reproduzierbarkeit Baaderscher Gedanken allerdings erschwert. Formeln, Bilder und Schemata und darüber hinaus das begriffliche Vokabular im ganzen sind bei Baader weithin konstant, keineswegs konstant ist aber die jeweilige Anwendung. Dennoch denkt Baader auch in unterschiedlichen „Ableitungen“, die in gleichen Instrumentarien verlaufen, dasselbe. Dies wird freilich nur unter einer Bedingung offenbar: unter der des unmittelbaren Mitgehens mit seinem Gedanken. Es gehört zu Baaders Denkstil hinzu, die Denkwege zu pluralisieren, um auf ihnen möglichst allseitig zur selben Sache zu kommen.[7] Wer sich nicht einläßt, der versteht nicht.

Umgekehrt ist die Vereinfachung, die Reduktion auf recht allgemeine Formeln und Schemata – dies wurde bereits berührt – für Baader gerade der Weg zu einer reicheren Differenzierung in der Wahrnehmung des phänomenalen Befundes. Ein in allen Punkten fixierter Gedankengang zeichnet einen Weg vor, der an mehr Punkten nur vorbeiführt, als daß er zu ihnen hinführt; die scharf markierte Zielangabe, die das „Zwischen“ offenläßt, eröffnet hingegen eine Vielzahl von Wegen, auf denen eine Vielzahl von Perspektiven und Begegnungen sich erschließt.