Theologie in Fragmenten
[167] Grundmodell
Die These, daß das zentrale Motiv in Baaders Denken die Aufhebung von Widerstand in Gestalt sei, bewährt sich unmittelbar in vielen einzelnen Motiven seines Gedankens: Einung geschieht durch Unterscheidung, Expansion gelingt nur aufgrund von Attraktion, Licht geht nur auf im Durchbruch des Blitzes. Sucht man die phänomenalen Anlässe, die Baader immer wieder beschäftigen, so ist es gerade die Unselbstverständlichkeit und der Ereignischarakter gelingenden Seins. Wirklichkeit ist ihm mehr als eine selbstverständliche Applikation von Möglichkeit, sie ist das in der Möglichkeit vermochte, in sie aufgezehrte Andere von Möglichkeit, überwundene Unmöglichkeit, eben aufgehobener Widerstand.
In diesem Grundmotiv, das die leitende Rolle in Baaders weitverzweigter Spekulation über die Natur als principium quo gegenüber der Idee als anderem principium quo darstellt, faßt sich so eine vorgängige Intention Baaders, ein vorgängiger Gedanke als das Worumwillen seines Denkens: Baader versucht – und dies darf als sein drängendes Interesse gelten –, Anfangen als Gestalten zu denken.[10] Anfangen, das meint jene aus dem bloßen Gedanken nicht ableitbare und herstellbare Spontaneität, die sich zeitigen, die einfach geschehen muß. Dieses Anfangen aber versteht Baader als Gestalten, als „Leibwerdung“[11] dessen, der anfängt, bzw. dessen, was er anfängt. Die Grundintention Baaders geht so aufs Verstehen von Genese, Genese aber wird zum einen gedeutet als geschichtlicher Sprung, zum andern als Formation, will sagen als organische Entfaltung.[12]
Dies macht verständlich, weshalb Baader immer wieder den Widerstand, das „Andere“ thematisiert, das er als aufgehobenes Moment im Anfangen wahrnimmt, und es – ungeachtet dessen, daß er dieses Andere als principium quo meint – in der Sprache hypostasiert.[13] Der Ansatz beim anfangenden Gestalten als Aufhebung von Widerstand erklärt die Fülle von Bildern, aber auch begrifflichen Distinktionen, die Baaders Naturphilosophie zum Versuch werden lassen, Geschichtlichkeit natural zu beschreiben, Natur als „geschichtliches“ Phänomen zu explizieren.
[168] Das leitende Interesse (Anfangen als Gestalten) läßt sich im Grundmotiv (Gestalten als Aufhebung von Widerstand) fassen: darin spiegelt sich ein weiteres, freilich bereits „mitgesetztes“ Grundmotiv Baaderschen Denkens selbst: der Grundrhythmus der „doppelten Gründung“, in welchem die Bewegung „Ursache – Gründen – Geisten“ neu konjugiert, differenziert und konkretisiert wird. In allgemeinster Formalität sieht Baader den Vorgang des Lebens, des Denkens und Seins im ursprünglichen Ausgang der Ursache in ihre Fassung, in ihren Grund; in ihm aber ginge der Ursprung unter, höbe er solchen fassenden Grund nicht wiederum auf, korrespondierte der Bewegung des Grundes nicht die aufhebende des „Geistes“, in welchem der Ursprung zugleich zu sich zurückkehrt, freilich um sich aufs neue zu fassen. Diese Bewegung von Descensus und Ascensus, von Sich-Fassen und Fassung-Aufheben ist in sich zurücklaufende und weiterlaufende Bewegung.[14]
Dieses „allgemeine Modell“, das sich mit der Spekulation des deutschen Idealismus im ganzen durchaus als kompatibel erweist, erfährt nun aber bei Baader seine Differenzierung durch das Motiv der doppelten Gründung, für welche die beiden Stichworte „Idee“ und „Natur“ stehen.[15] Beschreibt man bloß in formaler Abstraktheit den Grundprozeß von Gründen und Geisten, so bleibt der Vorstoß in die wirkliche Wirklichkeit, so bleibt der Ereignischarakter des Geschehens noch aus dem Blickfeld draußen. Die „ideale“ Bewegung wird erst wahrhaft ideal, indem der Ursprung sich zu ihr verhält, indem ihm die Idee zur Faszination, zur Lust wird, indem sie „magischen“, „magnetischen“ Zauber ausübt.[16] Dann aber findet sich der Ursprung seinem „idealen“ Selbstsein gegenüber, und dieses Gegenübersein wird ihm zur Distanz, zum Widerstand, zur Dialektik von Aus-sich-gehen-Wollen und In-sich-bleiben-Wollen, und eben das heißt: Hier entsteht Natur, die sich der Idee lassen und in welche die Idee einbrechen muß, damit Verwirklichung gelingt, damit der Blitz des Anfangs zündet: Gestaltung als Aufhebung von Widerstand.[17]
Um auf das Verhältnis zwischen Grundinteresse und Grundmotiv zurückzukommen, das sich im Grundrhythmus der doppelten Gründung spiegelt: die Intention Baaders, das Anfangen zu denken, „faßt“ sich, „verleiblicht“ sich im Motiv des aufgehobenen Widerstandes, das einerseits gerade die Unableitbarkeit und Unselbstverständlichkeit des [169] Geschehens bezeugt, andererseits diese Unableitbarkeit und Unselbstverständlichkeit wieder einbringt in ein geschlossenes, fertiges Modell.
Bleibt nachzutragen, daß Baader allen Bedacht darauf legt, sein Modell so zu differenzieren und anzuwenden, daß dabei zwei im Kontext damaligen Denkens keineswegs selbstverständliche Thesen gewahrt werden: die Absolutheit Gottes (das Moment Natur ist in Gott nur da als das ewig schon Aufgehobene, als jene Herrlichkeit, in der Gott seit Ewigkeit als der je Größere, als der „Komparativ in sich“, wohnt)[18] und seine Freiheit zur Schöpfung (Gott, der je schon in sich selbst Verwirklichte, der Überfluß in sich selbst, der deswegen die indigentia sui je schon überschwungen hat).[19] Die Mittel, solches zu denken, stehen ihrerseits jedoch in Kontrast zu diesem zu Denkenden, zeigen deutlich den Charakter des „aufgehobenen Widerstandes“, was sich denn auch in der Modifikation seines Verständnisses der creatio ex nihilo auswirkt.[20]