Theologie in Fragmenten

[173] Zu Baaders geistesgeschichtlicher Position

Die innere Struktur des Baaderschen Denkens und Sprechens markiert deutlich seinen Ort in der Reihe jener Gedanken, die das System neuzeitlicher Metaphysik aufzusprengen versuchen, dabei aber dem Ansatz verhaftet bleiben, über den sie hinausdrängen. Die Alternative Baaders kommt in sich nicht voll zum Zuge, weil sein Grundansatz eben der des Anfangens als Gestalten, des Gestaltens als Aufhebung von Widerstand bleibt. Baader hebt immer wieder ab auf die magnetische, ja magische Macht der Idea über den sich wollenden Willen. So will er die Unableitbarkeit und Unselbstverständlichkeit des wirklichen Wollens denken – und doch bleibt eben dadurch der Wille im Sinn von Baader dem verhaftet, was Heideggers Deutung der neuzeitlichen Metaphysik als den führenden „Willen zur Macht“[29] bezeichnet. Baader ist somit ein dramatischer Punkt in der Geschichte des abendländischen Denkens, das sich über das Zeitalter der Metaphysik in neue Ansätze und Entwürfe hinaus zu denken versucht.

Was von Baader bleibt außer der Denkwürdigkeit einer jeden großen Gestalt des Denkens, ist vor allem ein dreifaches: Zunächst ist es das Programm, Absolutheit als Absolutheit, Konkretheit als Konkretheit, Andersheit als Andersheit und Beziehung als Beziehung zu denken. Sodann ist es der Ausgriff des Denkens in den Bereich der kommunikativen Zeichen von Sprache und Bild, die als solche mehr sind als Ableitungen und Anwendungen sich selber denkenden Denkens. Schließlich ist aber auch im Werk Baaders selbst und unmittelbar der Überschuß des von ihm Gewollten über das von ihm Geleistete mächtig; er bezeugt sich in Baaders Gedanken der sich grundlos verströmenden Liebe und der fürs Selbstsein konstitutiven Gegenseitigkeit. Zwar bleiben Baaders Gott und Baaders Mensch geprägt vom Modell des Selbstbewußtseins, und doch zeichnen sich in Baader die Denkaufgabe und der Denkweg ab, die von einem bloß mit sich identischen unbeweglichen Beweger hinweg, aber auch über einen evolutiv-veränderlichen Gott hinaus zu dem Gott führen, der als Absoluter und Bleibender „Geschichte“ hat; und wenn es bei Baader das Wesen des Menschen ist, im Sichgeben an den anderen und vom Sichgeben des anderen zu leben, dann ist sein Gedanke eben doch schon Vorspiel einer Anthropologie, die mehr ist als die Vollstreckung des Ego, einer Theologie, die nicht Rekonstruktion Gottes, seines Selbstvollzugs und Handelns im Denken, sondern vernehmendes, verantwortendes Andenken ist.

[174] Das Fragmentarische aller Theologie tritt so an Baaders Fragmenten andeutend ins Licht: Sie ist Antwort als Fragment und Sakrament jenes je größeren Gespräches mit dem sich öffnenden, sich gebenden Gott, welches das Ganze ist.