Fastenhirtenbrief 1983

[2] Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn man - wie ich - als Schwarzwälder an den Niederrhein kommt, dann hat man einiges zu staunen. Ich muß gestehen, mich überkam eine fast kindliche Freude beim Anblick leibhaftiger Windmühlen. Und just an diese Windmühlen mußte ich denken, als ich hörte, mit welchen Worten unser Papst ein Heiliges Jahr ankündigte, das am 25. März beginnen soll. Er sagte, er verspreche sich von einer solchen Zeit der Besinnung und Buße im Gedenken an den Tod und die Auferstehung Christi vor 1950 Jahren einen Windstoß geistlicher Erneuerung.

Das also ist das Stichwort: Windstoß geistlicher Erneuerung.

Wenn Windmühlen stille stehen, sind sie zwar schön anzuschauen, aber sie dienen zu nichts. Sie lassen nicht aus dem Korn, das gestern wuchs, das Mehl werden, aus dem das Brot für morgen wird.

Stillstehende Windmühlen - befällt uns nicht manchmal die Angst, dies sei ein Bild für unser Leben, für unsere Gesellschaft, für unsere Kirche?

Unser Leben: Da ist halt alles geworden, wie es geworden ist. Soundsoviele Anläufe sind versandet, soundsoviele Hoffnungen begraben, soundsoviele Chancen vertan. Ein heimlicher Pessimismus breitet sich aus, wir werden müde, greifen nach einem Ersatz für das, was wahrhaft Glück und Erfüllung bedeutet. Nichts zu machen. Woher soll es anders werden? Die Lage auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft, die Gefahren für Frieden und Umwelt verstärken diesen Grundzug der Resignation, zeichnen das traurige Bild der stillstehenden Mühle.

Unsere Gesellschaft: Trauen wir ihr zu, daß sie Kräfte entwickelt, die eine Zukunft für alle eröffnen? Ich halte es für lebensgefährlich, das Aufgebaute abzureißen und seine Fundamente zu untergraben. Aber kann es einfach so bleiben, wie es ist? Der Windstoß der Erneuerung, ja ich wage auch hier zu sagen: der geistlichen Erneuerung tut not. Denn nur wer aus mehr lebt als bloß aus den Ängsten und Interessen des Augenblicks, wird Wege finden, die weiterführen.

Und unsere Kirche: Gelingt es ihr, Gottes Korn so zu mahlen, daß daraus Brot wird, von dem die Menschen leben können? Ich bin überzeugt: Die bloße Veränderung von Formen und Strukturen ist zu wenig, es braucht den Windstoß geistlicher Erneuerung. Nur wer selber aus dem Geist anders wird, wird auch das ändern können, was zu ändern ist, und zugleich das durchtragen, was durchzutragen ist.

Liebe Schwestern und Brüder, Sie werden mir entgegenhalten: Das ist doch gerade die Not, über den Wind kann man nicht verfügen. Der muß einfach kommen. Und Erneuerung, geistliche Erneuerung kann man nicht machen. In der Tat, dieser Einwand sticht. Aber der Geist ist uns gegeben, wir dürfen auf ihn vertrauen. Keinem, der darum bittet, versagt der Herr diesen Geist. Wir sind keine toten Windmühlen; es liegt an uns, daß wir uns in jene Richtung drehen, aus welcher der Wind des Geistes uns zuweht. Umkehren in die rechte Windrichtung, damit der Geist etwas bei uns ausrichten kann - darauf kommt es an.

Aber wo ist diese rechte Windrichtung, von woher weht der Geist, der neu macht und lebendig macht?

Orientieren wir uns an Jesus. Das Evangelium des heutigen Sonntags beginnt mit den Worten: „Erfüllt vom Heiligen Geist...“ Der Geist treibt ihn. Daran, wie Jesus dem Versucher antwortet, können wir ablesen, welches die Windrichtung des Geistes ist. Jesus verzichtet darauf, für die eigene Sättigung Steine in Brot zu verwandeln. Jesus verzichtet darauf, für den eigenen Erfolg ein Schauwunder zu wirken. Er will nicht haben und gelten, sondern horchen und dienen. Umkehren zum Geist heißt umkehren vom Anspruch zum Dienst.

Ein paar Beispiele:

Wir können uns persönlich vielleicht weniger leisten als früher. Andere - etwa in der Dritten Welt - können sich noch viel weniger leisten. Also können wir mit ihnen teilen. Sind wir dazu bereit?

Wir haben Sorge um unseren Arbeitsplatz. Andere auch. Müßten wir daher nicht noch enger zusammenstehen? Wer nur an sich selber denkt, der denkt zu kurz.

Unser kleiner Betrieb hat es schwer. Arbeitslose Jugendliche haben es oft noch schwerer. Können wir nicht doch noch einen zusätzlichen Ausbildungsplatz schaffen?

Unser Pfarrer hat für zwei weitere Gemeinden zu sorgen. Auch sie sollen jede seine „erste Gemeinde“ sein. Dürfen wir von ihm genauso viele Meßfeiern, genausoviel Teilnahme bei Festen und Sitzungen wie früher erwarten? Besinnen wir uns auf unsere eigene Würde als Getaufte und Gefirmte, springen wir in die Bresche, bilden wir lebendige Zellen mit dem Herrn in unserer Mitte. So wird trotz des Weniger an Gottesdiensten und Priestern der Geist in den Gemeinden nicht erlahmen, sondern erwachen.

Liebe Schwestern und Brüder! Das sind Schlaglichter. Sie fassen nicht die ganze Situation. [3] Aber sie zeigen die Richtung. Kehren wir um vom Anspruch zum Dienst. Versuchen wir es auch im ganz kleinen Bereich unseres Alltags: Am Postschalter, an der Ladentheke, an der Drehbank, bei Tisch, im Straßenverkehr. Die Welt will neu werden in unserem Herzen. Öffnen wir sie dem Windstoß des Geistes. Lassen wir unsere Mühlen von ihm treiben.

Mit ihnen auf dem Weg solcher Erneuerung

Ihr Bischof

+ Klaus

Bischof von Aachen