An die Mitglieder der Pfarrgemeinderäte

[202] Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!

Weihnachten ist das Fest der Nähe. Näher konnte Gott uns nicht kommen als in der Geburt seines Sohnes, der Mensch, der Kind werden wollte für uns. In unserem Bruder Jesus aber sind auch wir einander nahegerückt.

Mit diesem weihnachtlichen Brief möchte ich Ihnen ganz einfach ein Zeichen meiner Nähe geben. Durch Ihren Einsatz tragen Sie meine eigenen Sorgen und Aufgaben für die Gemeinden mit, und dafür möchte ich mich herzlich bei Ihnen bedanken. Sie und Ihre Arbeit im Pfarrgemeinderat, aber auch Ihre persönlichen Nöte und Anliegen nehme ich ausdrücklich hinein in mein Gebet während der Heiligen Nacht.

Der verstorbene Papst Paul VI. hat während einer Christmette, die er in einer römischen Gemeinde feierte, einmal gesagt: Jesus will heute inmitten der Gemeinde neu geboren werden, und er wird dort geboren, wo wir in gegenseitiger Liebe so miteinander eins sind, daß er in unserer Mitte sein kann.

Mir scheint, dieses Wort trifft genau die Aufgabe der Pfarrgemeinderäte. Sicher, nicht nur der Pfarrgemeinderat, sondern alle in der Gemeinde sind zur gegenseitigen Liebe, zum immer neuen Verstehen, zum glaubwürdigen Miteinander gerufen. Aber damit dies nicht nur ein frommer Impuls und eine schöne Idee bleibt, braucht es eine lebendige Keimzelle, in der dies angesichts der konkreten Aufgaben und Probleme von Gemeinde eingeübt wird. Daß es möglich ist, [203] zwischen Priestern und Laien, zwischen Jugend und älterer Generation, zwischen Alteingesessenen und Neuzugezogenen, zwischen Arbeitern und Akademikern, zwischen Ausländern und Deutschen einen Raum zu eröffnen, in dem derselbe Herr sich wohlfühlen, für alle da sein und allen nahe sein kann: das soll der Pfarrgemeinderat erweisen. Ich ziele damit gerade nicht auf eine Flucht vor den Sachaufgaben in die dünne Luft des bloß Spirituellen. Nein, wo wir im Geist Jesu einander annehmen und aufeinander zugehen, da können wir die Gesichtspunkte des anderen besser sehen und die eigenen besser verständlich machen und werden so auch zu einer sachlich besseren Lösung kommen als dort, wo wir uns einmauern ins Vertreten der bloß eigenen Interessen und Gesichtspunkte.

Ich schreibe das nicht als eine praxisferne Ermahnung nieder, sondern – gerade das macht mich froh – als eine Erfahrung, die ich in Begegnungen mit Pfarrgemeinderäten immer wieder hier im Bistum habe machen dürfen. Solche Begegnungen sind mir nicht selten zu einer Stärkung des Glaubens und der Hoffnung geworden. Natürlich habe ich auch notvoll anderes erlebt, Situationen, bei denen ich selbst nicht wußte, wie raten und weiterhelfen und die richtigen Schritte finden. Doch gerade in solcher Lage ist es wichtig, die Gemeinsamkeit nicht aufzukündigen und den Mut nicht zu verlieren. Tragfähige Lösungen kann man oft nicht konstruieren oder erzwingen, sondern man muß sie in der Geduld des Durchtragens sich schenken lassen.

Was not tut, läßt sich vielleicht in folgenden „acht Seligkeiten für Pfarrgemeinderäte“ auf eine Formel bringen:

Selig, die das Interesse des anderen (der anderen Gruppe, der anderen Gemeinde) lieben wie ihr eigenes – denn sie werden Frieden und Einheit stiften.

Selig, die immer bereit sind, den ersten Schritt zu tun – denn sie werden entdecken, daß der andere viel offener ist, als er es zeigen konnte.

[204] Selig, die nie sagen: Jetzt ist Schluß! – denn sie werden den neuen Anfang finden.

Selig, die erst hören und dann reden – denn man wird ihnen zuhören.

Selig, die das Körnchen Wahrheit in jedem Diskussionsbeitrag heraushören – denn sie werden integrieren und vermitteln können.

Selig, die ihre Position nie ausnützen – denn sie werden geachtet werden.

Selig, die sich nicht beleidigt oder enttäuscht zurückziehen – denn sie werden das Klima prägen.

Selig, die unterliegen und verlieren können – denn der Herr kann dann gewinnen.

Noch einmal: ich möchte nicht die Spannungen und Probleme, die es beileibe in den Pfarrgemeinderäten gibt, unter den „Festtagsteppich“ eines freundlichen Optimismus kehren; aber ich habe die Zuversicht, daß wir sie nur auf jenem Tisch austragen können, den die gegenseitige Liebe uns deckt und an dem der Herr mitten unter uns seinen Platz hat, der uns an Weihnachten nahe kam, um uns nahe zu bleiben und um uns eine unaufkündbare Nähe zueinander zu schenken. Ich glaube wirklich, daß dann der Verhandlungstisch auch zum Gabentisch wird!

Sagen Sie bitte auch einen besonders freundlichen Gruß und meine dankbaren Segenswünsche Ihren Familien und Ihren Nächsten, die Ihren Einsatz mit soviel Geduld und Verständnis mittragen!

| Ihr + Klaus Hemmerle |