Merkmale der Kirche – Kennmale des Geistes

[21] Einleitung: Zum geistlichen Ansatz des pastoralen Dienstes

[21] Einleitung: Zum geistlichen Ansatz des pastoralen Dienstes Es kann berechtigterweise viele Motivationen und Anlässe geben, einen pastoralen Dienst in der Kirche zu übernehmen. Vielleicht geht es uns zunächst ganz einfach um den Menschen. Wir haben Menschen gerne und wollen, daß sie leben und wahrhaft Mensch sein können. Und dabei entdecken wir, daß der Mensch eine Mitte braucht, die tiefer innen in ihm ist als sein Innerstes, und ein Ziel, das höher gesteckt ist als das, was sich durch eigene und andere Kraft erreichen läßt. Gottes in Jesus gesprochenes und vollbrachtes Ja zum ganzen Menschen nimmt uns in jene Dimensionen mit hinein, die Jesus in seiner Zuwendung zum Menschen eröffnet hat: Erlösung von Schuld und Sünde, Gemeinschaft mit Gott in der Gemeinschaft miteinander. Weil es uns um den Menschen geht, geht es uns um den Gott für den Menschen, um die Kirche für den Menschen. Oder wir werden einfach davon nicht losgelassen, daß Gott Gott ist, daß trotz aller Verdunkelungen und Verschattungen dieses Gottes er der Lebendige ist und Leben nur mit ihm wahrhaft Leben ist. Wir wollen dasein für ihn und mit ihm. Und dabei entdecken wir: Dieser Gott wendet sich dem Menschen zu, wagt sich aus der Wolke seines Geheimnisses [22] heraus, er ruft und sammelt Menschen und gibt sich selber für den Menschen hin. Und so nimmt uns die Zuwendung zu Gott in die Kehre Gottes zum Menschen hinein; Dienst am Menschen wird uns zum Vollzug des Gottesdienstes. Oder wir sind bewegt von Erfahrungen mit der Kirche, positiven oder negativen. Daß es da einen Lebensraum unter Menschen gibt, der sich nicht in den Zweckdienlichkeiten und Interessen erschöpft, daß es da eine Gemeinschaft gibt, in der es um Gott selber und um den Menschen selber geht, das ist uns auf die Seele gefallen. Wir wollen, daß Kirche dem Maß Gottes und des Menschen mehr entspreche, daß sie glaubwürdiger und wirksamer auch heute gegenwärtig sei in dieser Welt. Wir wollen uns dem zur Verfügung stellen, wollen uns einlassen, auch auf ihre Armseligkeit, um in ihr Gottes größeren Plan mit dem Menschen zu verwirklichen. Vielleicht haben wir auch einfach vieles von dieser Kirche empfangen, hat sie uns selber Tiefen unseres Lebens und Horizonte unserer Sicht erschlossen, die wir nicht für uns behalten, sondern anderen weitergeben wollen. Was immer für uns im Vordergrund steht, bei näherem Zusehen spielen alle drei Größen jeweils ineinander: Gott, die Menschen, die Kirche. Pastoraler Dienst bedeutet für den, der ihn übernimmt, diese dreifache Option: für Gott, für den Menschen, für die Kirche. Sie kann und muß zur beständigen Anfrage an unser Tun und Sein werden. Sie allein kann uns vor Verengung oder Verflachung schützen. Aber was heißt das? Verdeutlichen wir es uns noch einmal: Wie ist dieser Gott? Er ist Gott, ist der je Größere, der sich nicht berechnen und begreifen, stören und manipulieren läßt, der heilige Gott. Aber er ruft den Menschen in sein Geheimnis hinein, gibt [23] ihm an seinem eigenen Leben Anteil, will sein Größersein nicht für sich behalten. Das je Größere an ihm ist – Liebe, die sich mitteilt und verschenkt. Diese Liebe ist nicht etwas, was erst nachträglich zu ihm dazukäme, er ist selber, in sich selber, Liebe, die sich verschenkt und mitteilt. Er ist der Eine, der Einzige – aber seine Einheit und Einzigkeit ist alles eher als Einsamkeit, sie ist vollendete Mitteilung, vollendete Gemeinschaft. Gott ist der Eine und Einzige als der Dreieine, als Vater, Sohn und Geist. Und deswegen ruft er die Menschen, die er zu sich selber, zum Anteil an seinem göttlichen Leben ruft, zugleich zueinander. Er sammelt Menschen, er verbindet Menschen, er eint sie. Der Gott, der Liebe ist, ist Mitteilung, ist: Verschenken. Er überschreitet sich, er bleibt nicht bei sich, sondern kommt her zu uns, geht an die Ränder. Er ist Licht als reine, ganz in sich gefaßte Quelle – aber gerade darum gehören die Strahlen zu ihm hinzu. Und schließlich ist dieser Gott der Gott des Ganzen. Der Gott, der nicht nur etwas, sondern sich mitteilt und dem deswegen nicht nur an etwas, sondern an allem liegt, was er sein läßt. Alles ist in ihm, und er ist der Gott aller, der Gott des Ganzen. Er ist die Mitte, die sammelt, verdichtet – und ausstrahlt, sich mitteilt, ausweitet. Drehen wir die Perspektive, fragen wir einmal genauso nach dem Menschen, nach den Nöten und Sehnsüchten, die ihn heute umtreiben. Der Mensch macht die Erfahrung der Entfremdung. Er findet sich nicht, er wird verzweckt und verbraucht. Aber auch wenn er sich selber in der Hand hat, dann zittert diese Hand; er ist zu schwer für seine eigene Hand, er droht sich zu entgleiten – oder wird gar für sich selber zur Wegwerfware: [24] Was soll ich schon, was hat mein Leben für einen Sinn? Der Mensch auf der Suche nach sich ist im Grunde auf der Suche nach mehr als nur sich, nach jenem Geheimnis, das ihn selbst versiegelt, schützt, rettet. Er sucht das Heiligtum, in dem seine eigene Würde unentreißbar und unentfremdbar geborgen ist. Der Mensch, unterwegs nach seinem rettenden Ort, unterwegs zu sich selbst und seinem Geheimnis, sucht zugleich aber den anderen, das Du, das Wir. Vereinsamung und Vermassung drohen ihn zu verschlingen. Er ist angelegt auf Begegnung, Gemeinschaft, Einheit. Unterwegs zu sich: das heißt unterwegs zu seinem Geheimnis und unterwegs zur Gemeinschaft. Wenn der Mensch aber bei solchem Unterwegssein nur die Befriedigung seiner selbst findet, dann ist er gerade nicht zufrieden. Die tiefste Bedrohung seines Lebenssinnes besteht gerade darin, daß er für nichts mehr gut, für nichts mehr nütze ist. Ungebraucht, ohne Wozu und Wofür. Sende mich, gib mir einen Inhalt, gib mir ein Ziel, wofür ich mich einsetzen kann! Das ist nicht nur der Schrei aktueller Arbeitslosigkeit, es ist der Ruf des menschlichen Wesens. Und schließlich ist der Mensch Wesen des Ganzen. Eingesperrt in ein Getto, beschränkt auf eine Funktion und einen Sektor, findet er sich nie. Nur wenn es im Ganzen gut ist, steht es mit ihm selber gut. Sein Interesse an sich ist Interesse am Ganzen. Zum Menschen gehört die Menschheit, zum Menschen gehört die Welt, das Ganze. Der Blick und der Weg des Menschen gehen über alle Grenzen hinaus – und wollen sich doch nicht im Leeren verlieren oder verlaufen. So aber sind in den Paß des Menschen dieselben Kennzeichen eingetragen, wie wir sie abgelesen ha- [25] ben an Gottes Sein und Handeln. Es sind jene Merkmale, die schon seit Anbeginn in den Paß der Kirche eingetragen sind. Das Credo bekennt sie als die eine, heilige, katholische (ganze, umfassende), apostolische (in Sendung und Dienst der Apostel begründete und zu Sendung und Dienst bestellte). Kirche soll das Sakrament der Einheit, der Begegnungsort zwischen Gott und Mensch und zwischen den Menschen sein, wie es die großartige Sicht der Dogmatischen Konstitution über die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils uns vor Augen stellt (vgl. LG 1–4). Die Kirche ist die durch Jesu heiligende Hingabe ins Herz Gottes geborgene Menschheit, sie ist die Stätte, an welcher wir uns und unsere Welt in Gottes heilende und heiligende Liebe hineinhalten. Die Kirche ist nicht nur begründet in jener liebenden Entäußerung Christi, der sich an die Ränder, der sich in Tod und Verlassenheit hinein hat senden lassen und seine Sendung den Aposteln anvertraut hat – sie ist und bleibt dieses Unterwegssein Gottes, dieses Gesandtsein von ihm bis an die Enden der Erde, der Menschheit, der Geschichte. Und Kirche ist schließlich Welt-Kirche, Raum, in dem Gottes Interesse für das Ganze der Menschheit, der Schöpfung, der Geschichte lebendig, berührbar, wirksam werden will. Dienst an der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche – das ist Dienst im Namen des Gottes, der die Liebe ist, und Dienst für den Menschen, der diese Liebe braucht und sucht. Liegt nicht in diesen Merkmalen der Kirche, die zugleich Kennmale Gottes und des Menschen sind, ein Ansatz für den Vollzug des pastoralen Dienstes, der tiefer liegt als die Unterscheidung in verschiedene Funktionen und Stände? Es ist ein Ansatz bei Gottes Geist, ein geist-licher Ansatz. Denn das sind [26] die Grundrichtungen des Geistes: hin zum Vater, hinein in Gottes Geheimnis (heilig) – her vom Vater hinein in die Welt (apostolisch) – aufeinander zu zum Herrn in der Mitte (eins) – alles umfangend und verbindend: der Radius des Geistes ist unendlich (katholisch). Wer pastoralen Dienst tut, dem ist anvertraut und zugetraut, daß er in diesem vierfältigen Sinn ein geistlicher Mensch sei.