Das Wort für uns
[21] Gottes Ankunft geschieht immer neu
Ein dritter und letzter Anlauf: Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Was das heißt, hat sein je anderes Gesicht in Jerusalem, wo Jesus gekreuzigt wurde und auferstanden ist, in Galiläa, wo er predigte und Wunder tat, in Bethlehem, wo das Ereignis seiner Ankunft geschah. Aber noch etwas gehört hinzu: Nazareth.
Die Initiative lag bei ihm, beim Wort. Das Entscheidende des Christlichen ist nicht, was wir tun, sondern was er tut, ja was er ein für allemal und unwiderruflich getan hat. Er ist gekommen, er ist Fleisch geworden, einer von uns. Aber er ist nicht gekommen ohne uns, er ist nicht gekommen ohne den Menschen. Das Wort wollte Fleisch werden, indem ein anderer Mensch ihm sein Wort gab, sein eigenes Leben, sein eigenes Fleisch als Raum für die Geschichte des Wortes einräumte. Daß Maria sagte „Mir geschehe nach deinem Wort“, war die Bedingung dafür, daß wir dieses Wort vernehmen, daß wir diesem fleischgewordenen Wort begegnen können.
[22] Und Mariens Ja steht nicht allein. Wer – es sei wiederum gestattet, an Israel zu erinnern – dieses Land durchwandert, der ist erschüttert von der jahrtausendealten Geschichte eines je neuen, mit unzähligen Klängen und Schattierungen gesprochenen Ja. Die Geschichte des Volkes Israel ist Geschichte des Ja zum immer neuen Ruf Gottes. Auf der Leiter dieses Ja geschieht der Abstieg des Wortes Gottes ins Fleisch der Menschheit.
Die Geschichte dieses Abstiegs, die Geschichte dieser Ankunft ist indessen noch nicht zu Ende. Fleischwerdung des Wortes, ein für allemal geschehen, will immer neu geschehen. Jeder einzelne von uns ist der Drehpunkt dieser Geschichte. In jedem einzelnen soll die Übersetzung vom „Für mich“ ins „Für alle“, „Für die anderen“ sich ereignen.
Christsein heißt gewiß zuerst an das Wort glauben, das Fleisch wurde. Dieser Glaube aber ist nur dann lebendig, wenn er sich nicht beschränkt auf das, was einmal war, was ein für allemal geschehen ist. Das Wort ergeht auch jetzt, das eine und selbe Wort. Durch alle Begegnungen und Erfahrungen, durch alle Situationen [23] und menschlichen Worte gilt es durchzuhören auf das Wort, statt steckenzubleiben bei Eindrücken, Sympathien, Ängsten, Berechnungen. Durchhören auf das Wort – und ihm unser Fleisch, unsere Kraft, unser Vertrauen, unseren Augenblick, unser Leben einräumen, damit es eben in uns Fleisch werden kann für andere: dann ist Weihnachten nicht nur Erinnerung, sondern Zeugnis. Es wird glaubhaft, daß das Wort Fleisch geworden ist und unter uns wohnt.