Franz von Baaders Weg philosophischer Gotteserkenntnis

[276] Der Wegbeginn: das Ereignis des Menschen

Das Unterscheidende Gottes als Gott ist der Mensch als Gestalt: Jede Weise, auch jede gemäße Weise, in welcher sich das Denken dem unbedingten Geheimnis naht, ist als Weise endlich, endliche Außenseite zumindest eines Verweises, der seinem Innern, seiner Richtung nach aufs schlechterdings Unendliche zielt; die Weise der Endlichkeit wiederum, die der Gestalt Gottes als im denkenden menschlichen Vollzug gezeitigter und gestalteter anhaftet, ist die des Menschen selbst. Wo der Mensch als Mensch sich verdankt und verdankend zur Antwort wird auf das, was ihm als Mensch seinen Stand und seine Gestalt gibt, da weist er in sich und über sich auf den göttlichen Gott. Diese These bewährt sich nur dann, wenn jenes Ereignis, das den Menschen als solchen gestaltet, sich als der Aufgang des göttlichen Gottes enthüllt. Das also ist erfordert als die Aussage dieses Ereignisses: das Unterscheidende des Menschen als Mensch ist Gott als Gestalt.

Wie denkt nun Baader dieses Ereignis, oder besser: wie ereignet es sich in Baaders Denken als der notwendige Wegbeginn auf den göttlichen Gott zu?

Er beschwört es in der Grundformel: „Cogitor, ergo (cogitans) sum“ (XII, 238 und 325). Sie ist polemisch gegen das cartesianische „Cogito ergo sum“ gewendet, das, in Baaders Verständnis, auf eine falsche Weise mit dem Ich anfängt (vgl. XVI, 114f. unter „Cartesius“).

Umwandlung des cartesianischen Satzes und zugleich Anschluß an ihn umschreiben dreifach den – schon angedeuteten – Vorentscheid Baaders für seinen Wegbeginn.

Die Umwandlung ist mehr und anderes als eine Berichtigung, sie ist Ausstieg aus dem Bereich von etwas wie Richtigkeit überhaupt. Ich denke, also bin ich – das kann aus dem Stand des Beobachters gesagt werden, der sich selbst zusieht. Baaders Cogitor hingegen läßt solche Distanz nicht zu, es umfängt den gesamten Vollzug eigenen Denkens und Seins vorweg, dieses kommt nur innerhalb seines Umfangenseins zu sich, ist, als Denken, „ergriffen“.

Der Anschluß ans Cogito Descartes′ schließt hingegen mit ein, daß Baader nicht zuvorderst die Frage stellt: Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts? Das Sein des Seienden wird ihm unmittelbar und ausdrücklich nicht der das Denken entzündende Anlaß. Nicht von vorne, nicht im Ungenügen der Endlosigkeit endlicher Objekte wird sein Erkennen vom eigentlich Unendlichen, vom Unbedingten überholt; vielmehr findet es sich, obwohl der unmittelbaren Richtung aufs erfahrbar Begegnende inne (vgl. I, 30 Anm. 1), in eigentümlicher Anfänglichkeit schon je auf sich selbst, auf seinen Vollzug zurückgeworfen. Freilich erreicht es den archimedischen Punkt gesicherten Anfangs dennoch nicht, wie das die cartesische Formel zu bekunden scheint, in sich selbst, sondern in seinem vorgängig Umfangenden. Was man die „subjektive Grundentscheidung“ nennen könnte, hat bei Baader wesentlich andere Gestalt.

Ein Drittes fällt im Verhältnis der Formel Baaders zu der Descartes′ auf: [277] Baaders „cogitor“ drängt das „cogito“ in die selbstverständliche Identität mit dem „sum“. Indem Baader das „cogito“ zum Partizip verwandelt dem „sum“ in der Eingeschlossenheit der Klammer beigibt, legen beide, das Denken und das Sein, in ihrer Einigkeit sich gegenseitig aus. Baader spricht von „Identität des Seins und Erkennens“ (I, 192). Sein ist keine blinde Faktizität, der dann das Erkennen als Zusatz bisweilen widerführe, es ist, als Sein des Seienden, Gedachtsein und hat so sein Maß und seine Eigentlichkeit in der Entsprechung zum eigenen Gedachtsein, also im Selberdenken. Umgekehrt ist aber auch das Denken nicht Beifügung zum Sein, sondern die Vollstreckung des Seins, als Mitgehen zugleich mit dem gründenden Denken und mit dem eigenen Sein des Denkenden der bloß zusehenden Neutralität enthoben, es geschieht im Schnittpunkt beider, im gesammelten Ernst des Selbstseins, ist dessen lebendiger Vollzug. Das Denken ist ereignishaft, im Denken aber ereignet sich nicht nur sein Gehalt, sondern der denkende Mensch selbst und was ihn gründend umfängt.

Wieviel anders Baaders „ergo“, das Denken und Sein in den sich verdankenden Nachvollzug der eigenen Gründung aus dem umfangenden und gewährenden Urdenken zusammenschließt, als das cartesische „ergo“, das eine Feststellung aus der vorausgehenden zieht: Das „ergo“ im „Cogitor, ergo (cogitans) sum“ ist zeitigend, nicht folgernd.

Wie geschieht nun, an sich selbst angeschaut, dieses denkende Sein oder seiende Denken, welches in und über sich selbst den Aufgang des göttlichen Gottes vorweist, der sich hinter dem Cogitor verbirgt? Es geschieht, weil Denken und Sein einig sind, nicht von selbst, sondern von dem aus, der im Denken selber ist. Denken ist nicht Ablauf, sondern Vollzug, es muß gedacht, Erkenntnis muß vollzogen werden. Baader dehnt deshalb die „Identität des Wissens und Seins“ auf die „Identität des Wollens und Seins, sowie endlich jene des Handelns und Seins“ aus (V, 251). Zur Formel für diesen aktiv-vollbringenden Charakter des Denkens wird ihm der Satz: „Scimus quae (quia) facimus“ (z. B. IX, 107; vgl. XVI, 440). Man muß den mathematischen Satz konstruieren, um ihn zu verstehen (IV, 309 Anm. 1, 389; IX, 7), ja alles Erkennen eines Gegenstandes ist ein „ideelles Nachschaffen, Nachmachen oder Rekonstruieren dieses Seienden“ (I, 318). Dieses Grundgesetz ist von Baader keineswegs nur formal verstanden. Denn auch wo der zur Erkenntnis geforderte Einsatz des „Tuns“ vom Gewicht eigener Existenz unbelastet scheint, ist dieses insgeheim mit im Spiel. Erkennendes Tun ist weder mechanischer Vorgang noch beliebig-gleichgültige Spielerei; denn der erkennenden Wiederholung einer Sache kommt es auf etwas, kommt es auf die Sache, ja auf die eigene Selbigkeit mit der Sache, so aber ganz auf sie und ganz auf sich an, und gerade das unterscheidet Erkenntnis von Nachahmung.

Erkennen ist nur mit sich einig, wenn es mit seiner Sache einig und wenn es anerkannt, d. h. mit dem Erkennenden in seinem Ja einig ist, und der Erkennende ist nur mit sich einig, wenn er es anerkennend im Erkennen ist. Er ist angefordert, indem sein Erkennen angefordert ist, die Selbigkeit mit seiner Sache zu vollbringen. Was ihn aber anfordert, ist der angesichts aller möglichen [278] Gegenstände seiner Erkenntnis selbe, vom Rang dieser Gegenstände in sich selbst unabhängige, je unbedingte Ruf zur Entsprechung, der ihn sich selbst und ihm die Sache seines Erkennens auferlegt, beide also umfängt und ihm dieses Umfangen im Vollzug des Erkennens, kraft der doppelten Identität des Vollzugs, der Identität des Erkennens mit dem Erkennenden und der Identität des Erkennens mit dem Erkannten, zu wiederholen gibt. Baader bemerkt daher zum „Scimus quae (quia) facimus“: „Dieser Satz schließt auch jenen ein: Scimus quae (a nobis) facienda, und schon aus diesem Standpunkte zeigt sich uns die Identität (der Nexus) des Wissens und Tuns“ (I, 104 Anm. 1). Fast unbemerkt ist durch das „Scimus quae (quia) facimus“ in die Betrachtung des Vollzugs jenes eingetreten, was ihn als Denken, Erkennen, Wissen qualifiziert: das seiner unmittelbaren Zuwendung begegnende „Andere“, welches er sich anverwandelt, indem er es zu seinem Erkannten, Gewußten, Gedachten macht. So aber ist die Unmittelbarkeit des Vollzuges nach vorne, auf das zu Wissende und zu Tuende hin, zugleich Unmittelbarkeit des Vollzugs zu sich selbst, es geht im erkennenden Tun um den aufgegebenen Gehalt des Erkennens und um das Sein des Erkennenden, der ja im Erkennen „ist“, und geht in beidem um das Genügen vor dem unbedingten, erkennendes Selbst und erkannte Sache ebensowohl konstituierenden wie übersteigenden Anspruch, unter dem sich der Weg des Erkennens anfänglich findet. Unmittelbare Zuwendung zum Begegnenden und unmittelbarer Rückstoß auf den Vollzug schließen sich und schließen die vorgängige und so gerade andersartige Unmittelbarkeit zum Unbedingten, Rufenden mit ein, bzw. sie sind von ihr eingeschlossen.

So zeichnet sich der Grundriß des Gedankens ab, in welchem Baader das Ereignis des Denkens auf den göttlichen Gott hin artikuliert. Damit dieser selbst aufgehe, muß sich der erkennende Vollzug jedoch in die Situation begeben, aus welcher auch er im Ernst, d. h. in der Einigkeit des Denkens und Seins, aufgeht, anfängt. Die Situation des Anfangs ist an sich selbst ein „Zwischen“, jenes Zwischen, das in der Spannung des „Scimus quae (a nobis) facienda“ auf das „Scimus quae (quia) facimus“ hin umschlossen ist und aus ihr her die „Identität“ von Wissen und Tun knüpft, sie abhebt vom platten Einerlei und zum „Nexus“, zum selbst wiederum Vollbrachten macht. Das definite Wissen ist Ergebnis, das vom Tun erbracht und getragen wird: Scimus quia facimus. Dieses Ergebnis liegt aber nicht außerhalb des Vollzuges, der es zeitigt, sondern lebt in ihm, ist sein Gehalt, sein Sich-Vollbringen; es wäre nicht mehr gewußt, wenn der Vollzug der Erkenntnis schlechterdings aufhörte: „Scimus quia facimus“ heißt zugleich „Scimus quae facimus“. Der Vollzug indessen könnte sein eigenes Wissen des Gewußten nicht vollbringen, wenn er nicht schon von ihm berührt, gerufen wäre. In Berührung und Ruf ist aber das Gewußte schon beim Vollzug, der es doch erst zum Gewußten macht, es läuft ihm also zugleich voraus, und zwar, auf seine Weise, als erkannt; denn in sich selbst, als es selbst, ist das Erkennen von dem in seinem Anruf ihm vorlaufenden Gehalt gerufen und berührt. Erst was ich tue weiß ich, im Tun aber weiß ich was ich tue, weiß also, was sich mir zu tun und durch das Tun erst zu wissen gibt, so „daß ich z. B. nur [279] sehend bilde (zeuge) und nur bildend (zeugend) sehe, nur sprechend höre und nur hörend spreche“ (I, 104 Anm. 2).

Die Weise des Wissens, das sich selbst, seinem es zeitigenden Vollzug, vorausläuft, wird von Baader durch den Einschluß des „Scimus quae (a nobis) facienda“ im „Scimus quae (quia) facimus“ bezeichnet: das Gewußte ist vorgewußt als das inskünftig Gewußte, das sich jedoch nicht von allein in gegenwärtiges Wissen überführt, sondern nur dem Vollzug zu wissen gibt. Indem so der Vollzug aufgerufen ist, die Differenz zum noch nicht Gewußten zu überbrücken, ist seine Aktivität, sein Vollzugsein sowohl entbunden wie auch bereits bemessen, unter die Maßgabe dessen gestellt, was den Vollzug zum Noch-nicht-Gewußten hin ruft, ihm sein Wissen verheißt und gibt. Diesem Ruf eignet so eine mehrfach sich steigernde Unerbittlichkeit, die den Vollzug zum „faciendum“ prägt.

Unerbittlich stellt er das Tun als Bedingung vor, damit Wissen zustande komme. Auch was das Erkennen als selbstverständlich oder schon bekannt zur Verfügung hat, wird aus seiner bloßen Verfüglichkeit je erst durch die tuende Wiederholung herausgehoben in die Helle wirklichen Wissens.

Unerbittlich löst der Ruf, der in jeder Begegnung mit einem möglichen Gehalt der Erkenntnis an dieses ergeht, aber auch bereits das Tun aus. Denn wie immer ich auf den Anruf hin mich verhalte, ich verhalte mich eben, ich antworte, auch die bloße Abwendung vom Ruf ist Tun, das, von ihm bestimmt, ihn auf negative Weise vollbringt.

Nicht nur das Faktum des antwortenden Tuns ist indessen vom auslösenden Anruf sichergestellt, sondern auch seine Gestalt als Erkenntnis. Auch das irrige Wissen und sogar der Verzicht auf Wissen, das als unerheblich oder unmöglich abgetan wird, vollzieht zumindest stillschweigend Erkenntnis, ist getane Behauptung. Hier freilich wird offenbar, daß der Ruf, der mich in jeder Begegnung der begegnenden Sache entsprechen heißt, als solcher über die Sache hinaus und von jenseits der Sache her ruft. Denn mag der Gehalt, dem es zu entsprechen gilt, in sich auch unerheblich und verzichtbar sein, die Gestalt, in welcher ich erkennend die Entsprechung vollziehe, die Gestalt der Behauptung, ist je unbedingt. Auf dem Boden jeder, auch der abweisenden Antwort, die ich in der Situation der Erkenntnis tue, ruht das Urteil: So ist es. Was immer ich als meine Antwort vollziehe, ich vollziehe darin, zumindest eingeschlossen, die Unbedingtheit des „ist“. Etwas behauptend, behaupte ich je die Wahrheit. Indem ich angerufen bin, erkennend der Sache zu entsprechen, die sich zeigt, bin ich angerufen zu vollziehen, was sie ist. Rein auf die Sache achtend, achtet mein Entsprechen auf das unendlich sie Übersteigende, denn nur von dem her, was ihr und mir und allem gewährt zu sein, ist sie was sie ist, und nur in dem sie und mich und alles umfangenden Horizont ist etwas wie Entsprechung möglich, die ja mich und sie, sie und alles andere je unterscheidend ineins fügt.

Das in jedem erkennenden Tun ergriffene unbedingte Moment erschöpft sich aber nicht im Formalen des Charakters als Behauptung, als Urteil. Im Formalen schwingt eine ursprüngliche Betroffenheit mit. Gerade etwa das Urteil, das die Möglichkeit erkennender Entsprechung in Frage zieht und das unbedingte Moment aufs bloß Formale zurückzudrängen scheint, bezeugt das; denn es lebt aus [280] der immanenten Leidenschaft des Erkennens, sich mit nichts Ungewissem, nichts Fraglichem zufrieden geben zu können, es kommt ihm unablöslich und unbedingt auf „die Wahrheit“ an, darauf, wie es wirklich ist. Die Unbedingtheit solchen „Darauf-Ankommens“ ist erfüllte, nicht leer-formale Unbedingtheit, Antwort auf einen Denken und Sein versammelnden, also ernstlich unbedingten Ruf. Dasselbe bekundet das Urteil, das im Verzicht auf mögliche Erkenntnis und ihr erfülltes Urteil beschlossen ist. Dieser Verzicht trägt seinen vollzogenen, somit letztlich als erkannt behaupteten Grund bei sich, warum er geschehen kann: es kommt, wenigstens hier und jetzt, auf anderes an als auf sachhaft wissende Erkenntnis. Dieses „Andere“, auf das es „in Wahrheit“ ankommt, verlangt als solches unerbittliche Entsprechung und legt sich dem notwendig antwortenden Vollzug, zumindest negativ, als solches auch offen. Nicht nur jede Erkenntnis ist Vollzug, auch jeder Vollzug ist Erkenntnis, Erkenntnis aber in einem tieferen Sinn als die bloße Entsprechung zu einem begegnenden Gehalt; diese wird selbst nochmals daraufhin bemessen, ob sie „in Wahrheit“ das letzte sei, das, worum es unbedingt geht. Auf dem Grunde jedes Vollzuges findet sich so das Siegel einer nicht mehr nur formalen, sondern qualitativen Unbedingtheit, die unerbittlich ihn entbindet und bemißt, und der zu entsprechen er notwendig behauptet.

Unerbittlich geschieht der Vollzug antwortender Entsprechung zum unbedingten Ruf, unerbittlich hat er die unbedingte Form der Behauptung und ihr unbedingtes Gewicht. Aber nicht in und von sich selbst hat er die Gewähr, das zu vollbringen, was er vorgibt: die Wahrheit. Gewähr dafür gebe nur ich in meinem tatsächlich vollzogenen Entsprechen. Unerbittlich ist der Vollzug je der meine: ich muß tun, ich antworten. Das „faciendum“ spitzt sich zu auf das von Baader beigesetzte „a nobis“. Daß ich antworte, hängt nicht von mir ab, wie ich antworte, ist meine Sache. Der notwendige Vollzug ist der notwendigerweise freie. Was mich ruft, ruft unbedingt, und es ruft unbedingt mich. Indem es im Ruf seinen unbedingten Rang erweist, hebt es mir zugleich meine Entsprechung, mich selbst zu unbedingter Bedeutsamkeit empor. Es geht mir um mich selbst, ich verliere oder gewinne mich selbst in meinem entsprechenden oder sich verweigernden Tun. Meinen antwortenden Vollzug entscheidend, entscheide ich mich.

Die einzelne Situation, die mich ins erkennend-entscheidende Tun bringt, wendet mir in sich selbst die Grundsituation zu, aus der und in der ich anfänglich und im Ganzen bin, der ich bin: der Ruf, der mich hier und jetzt sich und mich und was mir begegnet vollbringen heißt, ruft je neu, ist aber darin doch stets der eine, unbedingte Ruf, der mich seiend denken, denkend sein läßt, der mich, die Welt und beides umfangend und gewährend sich selbst freigibt. Die Situation meines vollziehenden Anfangens spiegelt, ja enthält meinen eigenen, seienden Anfang.

In sich selbst ist die Situation des Anfangens ein „Zwischen“: sie ist jener Augenblick, welcher die Selbstverständlichkeit der Erkenntnis zerreißt, indem er das Erkennen unerbittlich zu meiner Sache macht, es von mir, von meinem Entscheid abhängen läßt. Ich entrate dem in sich beruhigten Kreis des „sprechen- [281] den Hörens und hörenden Sprechens“, des je schon geschehenen wissenden Tuns und tuenden Wissens ins darin insgeheim enthaltene „Scimus quae a nobis facienda“. Baader spricht von dem „Befangensein“ (III, 323), von der „Hemmung“, mit welcher „alle (innere) Produktivität beginnt“ (V, 15).

„Es ist nämlich, wie Jacob Boehme zuerst erwiesen hat, überall kein Finden dessen, was man in sich ist und hat, ohne die Vermittlung der Attraktion, Begierde oder Natur“ (III, 324). Er ist keineswegs der Meinung, diese „Hemmung“, die er als das Zusichkommen der „Attraktion, Begierde oder Natur“ versteht, müsse „empfindlich“ werden, offen ausbrechen (vgl. V, 14); aber auch wo sie in den geglückten Vollzug hinein schon anfänglich überwunden ist, bleibt das in ihrer „Abstraktheit“ (vgl. z. B. III, 322f., 325f.) Erscheinende doch als konstitutiv gegenwärtig.

Wie äußert sich die Hemmung, die Befangenheit des aufs Selbst und seinen Entscheid zurückgeworfenen Vollzugs? Wo ich des Rufes zur erkennenden Entsprechung inne werde, bemerke ich ein Doppeltes: es geht um ihn, ihm muß entsprochen werden, aber ich muß eben entsprechen, es geht um mich. Zwischen diesen beiden „Achsen“, um die es im Vollzug geht, finde ich mich nun in einer eigentümlichen Fassungslosigkeit, einem „nicht Bleiben- und doch nicht Von-der-Stelle können“ (II, 31; V, 15). Der Ruf, der mich zu sich hin ruft, betrifft mich, macht mich meiner selbst inne, erweckt meine Selbstbezüglichkeit allererst: „Attraktion, Begierde oder Natur“ in Baaders Sprache. Ich will dem Imperativ gegenüber, dem ich genügen soll, selbst bestehen und, sofern die darin eröffneten Tendenzen gesondert bemerklich werden, mich behaupten, meine Sache behauptend meistern, den Anruf selbst meistern, zugleich aber mich als diesen mit sich, mit der Sache und dem Anruf Beladenen, mich, die Sache und den Anruf in ihrer einfordernden Künftigkeit also, loshaben, mir entfliehen, und beides zusammen ist, in seinem Widerspruch, im „Konflikt als Rotation“ (V, 14; vgl. II, 32, 101; III, 336ff.) doch dasselbe, das Gewicht meiner „Selbheit“ (VII, 97f.; vgl. II, 209, 225f., 244; V, 271ff.).

Eine sich „von selbst“ einstellende Lösung, errechenbare Konsequenz gibt es nicht. Die Lösung muß sich ereignen, ihr Ereignis nennt Baader den „Blitz“ (vgl. XVI, 104f. unter „Blitz“): den Durchbruch der in sich verharrenden „Geburtsangst“ (z. B. II, 300), der Selbstbefangenheit des aus sich allein ohnmächtigen Wollens der Subjektivität in die „Freiheit“ (II, 244). Eine knappe, aber zentrale Schrift Baaders ist überschrieben: „Über den Blitz als Vater des Lichtes“ (II, 27-46). Solcher Blitz ist das eine zwiefältige Geschehen des „Einfalls“: Der Ruf, der mich in die Entsprechung ruft, übersteigt mich, entsprechende Erkenntnis ist nie bloßes Gemächte meiner selbst; auch wo dem Erkennen alsdann aufgeht: Es konnte gar nicht anders sein! mußte es ihm doch je aufgehen, einfallen von Gnaden der Wahrheit, die sich gibt. Und anderseits muß ich mich geben, mich lassen in das entsprechend-hinhörende, von mir selbst absehende, mich dem Ruf und in ihm der Sache öffnende Nachvollziehen. Wo Erkenntnis, wo überhaupt Vollzug gelingt, ereignet sich ein doppelt Unselbverständliches, der unableitbare Eintritt der Wahrheit in meinen Vollzug und meine unableitbare Hingabe an die Wahrheit, an das Gelingen gewährende Prinzip.

[282] Wo sich das Wollen der Subjektivität in sich selbst versperrt, hat letztlich allerdings der „Blitz“ dennoch statt, hier aber als das Gericht (vgl. z. B. II, 39 Anm. 2, 239ff., III, 326f.), als der „Zorn“ (III, 322f.), der die Zwiespältigkeit und Bestandlosigkeit des Selbst in sich selbst festmacht und vollstreckt und auf solche Weise, negativ, das „Licht“, die Macht und Herrlichkeit der Wahrheit durch ihren Entzug offenbart.

Die beiden „Achsen“ werden im versöhnenden Blitz zu einer einzigen: es geht mir um mich und geht mir um das rufende Unbedingte nunmehr, kraft seiner Gabe und meiner Hingabe, in einem einzigen, einfältigen Vollzug. Vom gelösten Ende her zurückblickend kann Baader sagen: „Das Problem zwischen Gott und Kreatur ist: Gott soll manifestiert werden, aber auch das Geschöpf. Dies wird dadurch gelöst, daß das Geschöpf sich Gott läßt, wodurch es mit Gott selbst manifestiert wird“ (VIII, 79). Die menschliche Ursprünglichkeit, selber vollziehen, von sich aus die Wahrheit tun zu müssen, ist nur frei, wenn sie ihre zweite Stelle, ihre Nachträglichkeit zum sie gründenden Ursprung annimmt, die sie selbst nicht mindert, sondern gewährt.

Das Verhältnis des Menschen zum unbedingt ihn Rufenden und Gewährenden legt sich hier auseinander: „Jener alte Satz: Pater in filio, filius in matre, drückt die zweifache Relation jedes Produkts zu seinem Producens aus, indem dieses als Vater subtiler als das Gezeugte und diesem unfaßlich ist, als Mutter dagegen faßlich, selbes erfüllend und speisend oder Speise gebend und sich in dieser, als Vater sich über selbes als Himmel, als Mutter unter selbes als Erde stellt“ (IV, 187). „Als Vater will Gott seinen Genitus besitzen, als Mutter will er von ihm besessen sein“ (X, 329).

Das eine und selbe unbedingt Rufende – darum geht es Baader letztlich in dem dynamisch allgemein geltenden, sinnbildlich formulierten Gesetz – zeigt sich dem Vollzug in doppelter Stellung: einmal als „Himmel“ oder „Vater“ in „schöpferischer und zerstörender“, in „gesetzgebender“ Funktion, zum anderen als „Erde“ oder „Mutter“ in „reproduktiver“, „vegetativer“ und „helfender“ Funktion (V, 24 Anm. 1, 25 Anm. 3). Ich bin unbedingt zur Entsprechung gerufen, unter diesem Imperativ notwendig in der Gestalt der vollzogenen Entsprechung und zugleich in diesem Vollzug je von ihm bemessen, ja gerichtet. Doch der „Imperativ“ allein gewährt nicht seine Erfüllung, und auch ich bin aus mir selbst ihrer nicht mächtig, vielmehr muß zum „Imperativ“, wie Baader sich ausdrückt, der „Dativ“ hinzutreten (VIII, 136, IV, 170 Anm., IX, 365), zum Ruf die Gabe, der Einfall. Wenn ich mich aufgebe und dem Imperativ, dem „Vater“, lasse, finde ich mich zugleich von der Wahrheit, die mich ruft, getragen, ich kann mich auf sie als „Mutter“, als Boden und Gewähr verlassen, und indem so in mir die Wahrheit der Wahrheit, die Wahrheit als Gabe der Wahrheit als Forderung, entspricht, entspreche ich ihr, bin ich selbst, von ihr getragen, „im Stande“, habe selbst meinen Stand und meine Gestalt gewonnen. Ich kann mich nie vor dem mich anfordernden Ruf der Wahrheit auf anderes berufen als auf die Wahrheit, berufe ich mich aber fälschlich auf sie, ersetze ich ihren Einfall durch meine Willentlichkeit, so bleibt der Imperativ ungestillt: „Was du (innerlich) dem Vater gibst, das gibt dir die Mutter wieder, [283] und was du dieser nimmst, mußt du dem Vater wiedergeben“ (IV, 228). Das anfängliche Umfangensein meines denkenden Seins im „Cogitor“ erklärt sich als dieser doppelte Bezug des mich ins Sein und Denken rufenden und mir darin Sein und Denken gewährenden Unbedingten zu mir, in dessen Mitte ich mich je als ich selbst ereigne. Darin aber ereignet es selbst sich über und in mir in „Imperativ“ und „Dativ“, als mein Herr und als mein Heil.

Welche Bedeutung hat hierbei das Gewicht der „Selbheit“? In ihrer „Entzündung“ wirkt sie zerstörend, in ihrer Hingabe aber konstitutiv (vgl. II, 364). Als ich selbst, als das „Andere“ zum Unbedingten, in der Bestimmtheit meiner eigenen und einzelnen Existenz bin ich angefordert vom Unbedingten und soll vor ihm bestehen. Mit mir selbst, mit meinem Mich-Wollen, Mir-Gehören soll ich es wollen, ihm gehören, ihm entsprechen, mit meinem Selbstsein es denken: Pater in filio. Und mein Selbstsein, mein Mir-Gehören soll sich finden und kann sich nur finden in ihm, ist je getragen von ihm, genährt aus ihm: Filius in matre. Dann ist es nicht bloßer Gedanke, nicht formale Bestimmung, sondern wahrhaft bestimmend, gestaltend. Indem es mich selbst so rufend und tragend zur Gestalt erhebt, ereignet sich seine Gestalt, geht Gott in seiner Göttlichkeit auf. Das Unterscheidende Gottes als Gott ist der Mensch als Gestalt, das Unterscheidende des Menschen als Mensch, als „er selbst“, ist Gott als Gestalt, Gott als wahrhaft mein Herr und mein Heil.