Glauben an Gott

[29] Ist Glaube an Gott „möglich“

1.1 „Wenn einem ein großer Berg die Kraft gäbe, ihn zu tragen, so wäre er leichter zu tragen als ein kleiner.“[1] Dieser Satz des hl. Bonaventura hat die „Erträglichkeit“ Gottes für unser Bewußtsein im Blick. In der Tat, die Aussage, die heute gang und gäbe ist, es sei schwer, an Gott zu glauben, stimmt, genaugenommen, nicht, sie ist zu wenig radikal. Es ist unmöglich, an Gott zu glauben – unmöglich dann, wenn wir nur auf unsere eigenen Möglichkeiten rekurrieren und aus ihnen die Erkenntnis Gottes leisten wollten. Dies sagt nichts gegen die Möglichkeit einer „natürlichen Gotteserkenntnis“. Ohne in diesem Zusammenhang auf den Kontext einzugehen, in dem Bonaventuras zitierter Satz mit dem Problemfeld natürliche Gotteserkenntnis steht, darf zumindest dies gesagt werden: Glaube an Gott, im christlichen Sinn verstanden, ist nicht etwas, was der Mensch aus sich selbst bewerkstelligen könnte, die Kraft des Glaubens kommt von dem, an den der Glaube glaubt. Gott ist nicht nur Gegenstand des Glaubens, er ist der Grund, auf den der Glaubende sich verläßt, Grund, der ihn selber, wenn er glaubt, trägt, der aber auch bereits den Absprung seines Sich-Verlassens, den Absprung seines Glaubens trägt, ja ermöglicht.

Das hat seine Konsequenzen für unsere gängige Weise, „Zugänge“ zum Glauben zu erschließen. Wir wollen den Glauben leichter, plausibler machen. Geht das überhaupt, ist das von der [30] Sache her zulässig? Die Antwort muß „ja“ lauten, wenn es darum geht, Mißverständnisse, aus Fehldeutungen, aus Verengungen, aus geschichtlich überholten oder überholbaren Situationen her sich auftürmende Barrieren abzubauen, die den Menschen gar nicht erst in die Situation der Glaubensentscheidung kommen lassen. Die Antwort muß aber dann jedenfalls „nein“ heißen, wenn versucht werden soll, Glauben zu verharmlosen, Glauben auf etwas dem Menschen Zumutbares und Mögliches zu reduzieren.

Glaube ist nur Glaube, wenn er nicht bloß jene Selbsttranszendenz des Menschen darstellt, die ohnehin zum Menschen gehört, sondern wenn er allein ermöglicht ist durch die Selbsttranszendenz Gottes, der unerrechenbar und unerzwingbar „positiv“, geschichtlich und nicht apriorisch, „immer schon“ sich dem Menschen öffnet, ihn in Anspruch nimmt, ihn beschenkt, ihm sich als Grund darbietet. Daß diese Selbsttranszendenz Gottes dem Menschen als solchem entgegenkommt, den Menschen als den, der er ist, zu sich einholt, daß der sich offenbarende Gott sich bestätigt als jener, der auch den Menschen erschaffen hat, ist dadurch unbestritten. Würde dem Menschen die Fähigkeit, sich zu transzendieren, schlechterdings abgesprochen, so wäre damit freilich auch Glaube als unmöglich erklärt. Menschsein ist offen über sich hinaus, und diese Offenheit ist Voraussetzung für den Glauben; der Glaube selbst und auch die positive Möglichkeit zum Glauben sind mehr als das Resultat der Analyse oder der selbstvermochten Praxis dieser Offenheit.

1.2 Dann aber gehört zum Wesen des Glaubens an Gott, daß er ganzer Glaube ist. Manche ziehen aus der Unselbstverständlichkeit des Glaubens, manche ziehen aus dem Umstand, daß man ganz gut, ja eigentlich besser in die Gänge dieses Lebens und dieser Welt hineingeschaltet zu sein scheint, wenn man es nicht allzu intensiv mit dem Glauben hat, die Folgerung, daß ein etwas „wattierter“ Glaube, daß ein Glaube, der gar so ungewöhnlich nicht ist, doch menschlicher wäre und darum zu einem so menschenfreundlichen Gott wie dem Vater unseres Herrn Jesus Christus [31] paßte. Aber entweder ist Gott Gott, und dann hängt alles von ihm ab, dann ist alles in seiner Hand, oder Gott ist nicht; doch nur zu 49 oder 51 % ist Gott gewiß nicht und ist er gewiß nicht Gott. Glaube mit einkalkulierten und approbierten Unsicherheiten, Glaube, der sich dadurch plausibler und menschlicher dünkt, daß er radikale Konsequenzen abschirmt, ist – das ist bewußt von „außerhalb“ des Glaubens gesagt – die einzige Haltung, die mit Sicherheit den wahren Tatbestand verfehlt. Weil Gott nur zu 100 oder zu 0 % ist und Gott ist, bleibt dem Menschen auch nur die Wahl zwischen totalem Glauben oder Unglauben. Ist damit aber nicht im vorhinein dem Menschen, der um Gewißheit ringt, dem Menschen in der Anfechtung, dem Menschen in der Dunkelheit der Weg abgeschnitten? Keineswegs. Es ist nur aufgezeigt, daß man auf dem Weg nicht stehenbleiben, daß man sich auf dem Weg nicht einrichten kann, daß jedes Sich-Begnügen mit dem Vielleicht, daß jedes Verharren bei der Frage als bloßer Frage gerade die Frage selbst verfehlt.

Dieser vom Glauben als Glauben her vorgenommenen Situationsbestimmung widerspricht freilich der statistisch faßbare Durchschnitt von Glaube, seine empirisch erhebbare Situation. Wie verhalten sich beide Seiten zueinander, wie sind die Situation des Glaubens, die vom Menschen her gelesen wird, und die Situation des Glaubens, die von Gott aus, die in der Perspektive des Glaubens selbst sich interpretiert, einander zugeordnet, wie sind sie eine und dieselbe Situation?