Linien des Lebens

[29] Verherrlichung

Die Episode aus dem Leben des heiligen Aloysius ist bekannt: Er sitzt mit Freunden beim Spiel. Einer fragt ihn: Wenn du wüßtest, daß du in einer Stunde sterben müßtest, was tätest du dann? Seine Antwort: Weiterspielen!

Welche Antwort hätte er wohl gegeben – oder könnte ich geben – auf die andere Frage: Wenn du in einer Stunde sterben müßtest, wie würdest du das Ganze deines Lebens zusammenfassen? Was ist das Eine, das in deinem Leben „passiert“ ist?

Meine Antwort suchenden Gedanken machten halt bei einfachen Menschen, deren Sterben mir eine Botschaft wurde. Es gab da keine großen Nachrufe, keine Biographien mit herausgehobenen Leistungen. Es bleibt aber von diesen Menschen etwas wie ein Licht, in dem sie selber leuchten, weil ein Anderer leuchtet. Sie haben so gelebt, daß dieser Andere in ihnen zum Leuchten kam und daß dieses Leuchten sich auf viele ausbreitete.

Viele Erinnerungen werden da in mir wach. Eine verdichtet augenfällig, worum es geht: Ein Freund, der vielen Menschen in Not Lebensmöglichkeiten eröffnet hatte, wurde schwer krank. Er konnte [30] schließlich nicht mehr sprechen, fühlte seinen Tod herannahen und verlangte am Tag vor seinem Sterben nach einem Blatt Papier. Er schrieb darauf den Namen, das Datum und die Worte: „Ja, ja, ja. Gott ist die Liebe.“

Jenes stille Licht, das von vielen Menschen und ihrem Leben ausgeht, findet in diesem Zeugnis Wort und Namen. Es geschieht da jenes in der Bibel insgesamt und im Johannesevangelium zumal so oft Genannte, vor dem wir meist in ratloser Distanz verharren, weil es scheinbar unsere eigene Lebenswelt nicht mehr trifft: Verherrlichung Gottes.

Das vierte Evangelium legt uns in der Vielfalt des Seins und Lebens, Sprechens und Wirkens Jesu einende Grundlinien offen, und eine dieser Linien heißt eben: verherrlichen und verherrlicht werden. Gott leuchtet in ihm auf, und so kommt auch sein Leben, seine Person zum Leuchten. Was sein Leben ausmacht und einsmacht, sagen uns zwei Sätze aus dem Hohenpriesterlichen Gebet: „Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast“ (Joh 17,4); „Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir“ (17,22–23a).

Es lohnt sich – ich kann hier nur diese Anregung geben –, sich auf die vielen Stellen hörend und ver- [31] weilend einzulassen, die im Johannesevangelium von Herrlichkeit und Verherrlichung sprechen. Es geht da um Werk und Wirken Jesu, das in allem das eine sucht und vollbringt: Jesus verherrlicht den Vater. Es geht da um das Walten und Wirken des Vaters im Sohn bis hin durch den Tod in die Auferweckung hinein: Der Vater verherrlicht seinen Sohn. Es geht da um uns, um alle, die von Sohn und Vater in die Mitte, in ihr eigenes Leben hineingenommen werden: Jesus gibt ihnen teil am Licht dieser Herrlichkeit, macht sie in ihr eins und eröffnet den Raum, in welchem Gott für die Welt erstrahlt.

In Jesus geschieht dies auf einmalige, unser Leben und unsere Geschichte tragende und gründende Weise. Es geschieht in Jesus als Offenbarung des Innersten Gottes. Gott ist in sich selber nicht Selbstbehauptung, nicht sich durchsetzende Selbstverherrlichung. Er ist in seiner göttlichen Anfänglichkeit sich schenkendes und zurückschenkendes Licht, er ist Verherrlichen und Verherrlichtwerden. Und die eine und selbe Herrlichkeit, die eine und selbe Gabe, in der Vater und Sohn sich einander selber schenken, ist nicht ein Etwas, nicht ein Zusätzliches, sondern personhaft, wesensgleich, Heiliger Geist. So deuten die Väter, etwa Gregor von Nyssa, die doxa, die Herrlichkeit Gottes im Johannesevangelium, zumal im 17. Kapitel.

[32] Solches neidlos sich verströmende Hinausgehen über sich, solches gegenseitige Gönnen und Geben öffnet sich im Ostergeschehen und wird unser Lebensraum, in welchem Gott in uns und über uns aufgeht, in welchem wir selber aufgehen, in welchem die Welt Gott, diesen so ganz anderen und darin so ganz nahen Gott sich bezeugen sieht.

Das Inwendigste Gottes wird zu unserem Leben. Wie das geschieht, können wir im Leben und Sterben der Einfachen, der Unscheinbaren erfahren. Vermutlich haben wir alle solches schon erlebt, ein Leben und Sterben, von denen wir sagen können: Da ist Gott aufgegangen – da ist etwas von Gott übergegangen – da bleibt etwas.

Doch wie kommt solches „Verherrlichen“ in unser Leben, in unseren Alltag? Ich versuche ein paar Hinweise aus der Erfahrung der kleinen Leute zu geben.

Den Adressaten nicht vergessen. Wenn das Leben nur so dahinläuft, wird es unzustellbare Post. Sag IHM doch im Augenblick: für dich.

Den Staub wegwischen. Diese kleine Blockade, dieses Vorurteil, die Angst weggeben – an IHN. Dann kommt ER, dann kommst du zum Leuchten.

Weitergeben, weitersagen. Wem sagst du, wer sagt dir, daß ER groß ist und daß ER gut ist? Es täte dem anderen gut und dir. Und Gottes Herrlichkeit ginge auf für viele.