An Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse einer Hauptschule

[43] Aachen, den 18. 10. 1978

Liebe Klasse 6!

Euer Brief hat mich so gefreut, dass ich mich am liebsten sofort in mein Auto gesetzt und euch einen Besuch gemacht hätte. Oder wenigstens hätte ich euch gerne gesagt: Kommt doch an diesem oder jenem Tag zu mir, damit wir miteinander sprechen können! Aber nun ist das eben mit dem Terminkalender eines Bischofs eine ganz schwierige Sache. Ich hätte mir das früher auch nicht so gedacht. Für viele, viele Wochen bin ich schon jeden Tag so „ausgebucht“, dass ich nur eine einzige Möglichkeit sehe: Ich schreibe euch jetzt einen Brief, um eure Frage zu beantworten.

Zusammen mit den Weihbischöfen besucht der Bischof alle fünf Jahre jede einzelne Pfarrgemeinde im ganzen Bistum. Wir haben über fünfhundert solcher Pfarrgemeinden. Da wird jedes Mal das Sakrament der Firmung gespendet, da wird [44] mit jedem Priester und jedem anderen, der im pastoralen Dienst tätig ist, ein ausführliches Gespräch geführt, da findet immer mit dem Pfarrgemeinderat und dem Kirchenvorstand eine Sitzung statt, bei der man die Probleme dieser Gemeinde bespricht. Aber auch die Krankenhäuser, Kindergärten, Klöster, Schulen, Fabriken werden so weit wie nur möglich besucht. Dadurch bekommt man mit dem Leben der einzelnen Gemeinde einen Kontakt und erfährt, was sie drückt und was in ihr an Gutem und Schönem geschieht. Für mich ist es mit das Schönste, wenn ich so ins Bistum fahren und mit den Leuten ihre Sorgen und Fragen und Erfahrungen durchsprechen kann.

Natürlich reicht es nicht, dass nur alle fünf Jahre ein Weihbischof oder der Diözesanbischof in jede Gemeinde kommt. Vielleicht wisst ihr, dass wir unser Bistum in acht Regionen aufgeteilt haben. In jeder dieser Regionen halte ich jedes Jahr einen Regionaltag. Da sind, einmal an diesem, das andere Mal an einem anderen Ort, Gottesdienste, zu denen die Leute dieser Region kommen können, da trifft man sich einmal mit der Jugend, das andere Mal mit den Arbeitern und ein drittes Mal mit den Helfern der Pfarreien, jedes Mal aber auch mit den Priestern und Kommunalpolitikern, also den Bürgermeistern und Stadtdirektoren. Da hat man oft an einem einzigen Tag sechs oder acht oder zehn verschiedene Reden und Ansprachen zu halten und viele, viele Begegnungen. Aber ich finde, das ist sehr nützlich.

Eine Arbeit, die viel weniger sichtbar ist, die aber einen ganz großen Anteil der Zeit wegnimmt, ist einfach die Post. Wenn ich einmal ein paar Tage unterwegs bin, dann habe ich oft [45] mehr als eine Stunde nur rasch durchzulesen, was mir in den vergangenen Tagen geschrieben wurde. Diese Briefe sind sehr wichtig. Es ist vor allen Dingen schön, dass man oft auch von den persönlichen Problemen der Menschen erfährt. Es ist natürlich so viel, was da geschrieben wird, dass man gar nicht auf alles persönlich antworten kann, so gerne ich das tue und so oft ich das probiere. Ich wollte z. B. euren Brief gerade nicht durch jemand, der die Dinge genauso gut weiß wie ich, beantworten lassen, weil ich mich besonders darüber gefreut habe, dass ihr euch so für die Arbeit des Bischofs interessiert. Aber es kann gut der Fall sein, dass demnächst eine andere Klasse irgendwoher schreibt, und ich muss doch meinem Kaplan sagen: Schreiben Sie an meiner Stelle, denn sonst müssten die jungen Leute zu lange auf Antwort warten!

Viele Konferenzen und viele Besprechungen fallen jede Woche an. Da gibt es die Räte wie Priesterrat, Pastoralrat, Katholikenrat, in denen die Priester und Laien aus der Diözese an den Aufgaben und Problemen des Bistums helfend und beratend sich mitbeteiligen. Da ist es sehr wichtig, dass nach besten Kräften der Bischof immer dabei ist, gut zuhört und die anderen um ihren Rat und ihre Meinung fragt. Aber natürlich brauchen auch die unmittelbaren Mitarbeiter im Generalvikariat und in den Regionen viel Zeit, um mit dem Bischof zu beraten und zu sprechen. Es ist ganz klar: Wenn allein schon beinahe 1.000 Priester im Bistum tätig sind, wenn es über 500 Pfarrgemeinden gibt, soundso viele Kindergärten, Krankenhäuser, Schulen, Büchereien, Häuser der Offenen Tür, Bildungseinrichtungen, dann gibt es jeden Tag soundso viele Aufgaben und Probleme, die man nur mit einer großen Schar von Mitarbeitern bewältigen kann. Diese müssen aber wissen, [46] was der Bischof denkt, und ich muss wissen, was sie für Erfahrungen machen – sonst geht die Arbeit im Bistum an den Erfahrungen und Bedürfnissen der Menschen vorbei.

Was mir oft leid tut, ist der Umstand, dass man zum persönlichen Gespräch mit den Einzelnen, die im Bistum leben, nur wenig Zeit findet. Ich führe zwar unzählige Gespräche – aber so oft bitten viele um eine halbe Stunde oder Stunde für sich persönlich, und ich muss antworten: Ich habe die nächste freie halbe Stunde erst in Wochen oder Monaten! Und es gibt dann so viel zwischendurch an dringenden Notfällen, dass man dafür einen Spielraum braucht.

Sehr viel Zeit nehmen aber auch die Verpflichtungen in Anspruch, die ich als Bischof über das Bistum hinaus habe. In unserer Zeit geht es einfach nicht anders, als dass man sich zwischen den einzelnen Bistümern abstimmt und auf gemeinsame Fragen und Probleme gemeinsame Antworten und Lösungen sucht. Deshalb sind die Bischofskonferenzen sehr wichtig. Zweimal im Jahr sind alle deutschen Bischöfe und Weihbischöfe für vier Tage mindestens zusammen und halten eine Vollversammlung der Bischofskonferenz. Außerdem sind die Diözesanbischöfe noch etwa fünf weitere Male einen Tag zusammen, um die dringenden gemeinsamen Probleme zu lösen. Überdies wird die Arbeit der Bischofskonferenz in zehn einzelnen Kommissionen vorbereitet und durchgeführt. Ich bin der Vorsitzende der Kommission für die Priester, Ordensleute, Laien im pastoralen Dienst. Da gibt es so viele Probleme, so viel Arbeit, dass ich, alles zusammengerechnet, etwa drei bis vier Wochen jedes Jahr dafür zu tun habe. Außerdem muss ich auf der Ebene der Bischofskonferenz [47] mich um das Zentralkomitee der deutschen Katholiken kümmern, also um die Vereinigungen und Aktivitäten der Laien in der ganzen Bundesrepublik. Zum Beispiel bereitet das Zentralkomitee die Katholikentage vor. Ihr habt sicher vom Mönchengladbacher Katholikentag 1974 oder zumindest vom Freiburger Katholikentag 1978 gehört. Ich hatte allein in Freiburg sieben Reden zu halten. Aber auch über die eigene Bischofskonferenz hinaus muss man tätig sein. Es ist zum Beispiel ein Gespräch der europäischen Bischöfe geplant, bei dem ich von der Deutschen Bischofskonferenz mit einigen anderen Bischöfen zusammen teilnehmen und einen Vortrag über die Jugend und den Glauben halten muss. Außerdem bin ich Mitglied der sogenannten Bischofskongregation; sie muss den Papst beraten bei der Ernennung von Bischöfen und Weihbischöfen in aller Welt.

So, nun könnte ich noch weiß wie lange weitererzählen, aber ihr spürt sicher, dass es mir nie langweilig wird. Aber ich muss sagen, wenngleich man oft bis zum Äußersten angestrengt ist, ist es doch schön, Bischof zu sein. Denn man kommt mit vielen Menschen zusammen, um ihnen etwas von Jesus Christus, vom Glauben zu bezeugen - und man spürt, wie sehr dieser Glaube, wie sehr Jesus Christus die Antwort auf die Fragen und Nöte der Zeit ist.

Nun hätte ich beinahe noch jenes zu erzählen vergessen, was äußerlich am allermeisten vom Bischof im Vordergrund steht: Außer dem Sakrament der Firmung ist ihm ja auch etwa die Bischofs- und Priesterweihe und die Kirchweihe vorbehalten. Hier trägt der Bischof seine festlichen Gewänder, hier sieht man ihn in aller Öffentlichkeit. Aber das, worauf es im [47] Grunde ankommt, ist nur eines. Der Bischof muss dafür Sorge tragen, dass der Glaube und die Liebe in seinem Bistum lebendig bleiben. Ich habe mir deswegen als Wahlspruch auch das Wort Jesu aus dem Hohenpriesterlichen Gebet genommen: „Lass alle eins sein, damit die Welt glaubt!“

Ich habe den Brief sehr schnell diktieren müssen, weil ich gleich wieder verreisen muss. Aber ich hoffe, ihr könnt mit meiner Antwort etwas anfangen. Und ich verspreche euch, herzlich an euch zu denken und schicke euch meinen Segen.

Euer Bischof Klaus