Dein Herz an Gottes Ohr

[33] Kennen wir uns?

Im Restaurant in einer fremden Stadt. Kein Tisch mehr ist frei. „Gestatten Sie?“ Der einsam sitzende Fremde sagt achtlos sein „Bitte!“. Wie sie auf das bestellte Menü länger warten, heben sich doch die in sich gekehrten Blicke und treffen einander. Nachdenklichkeit erwacht auf den Mienen. Habe ich den nicht doch schon einmal gesehen? Der Hinzugekommene riskiert das Wort: „Kennen wir uns?“

Und hier können die unterschiedlichsten Fortsetzungen anheben.

I

Wartet nicht auch auf uns diese Szene bei jener einzigen Reise, die jedem von uns mit Sicherheit bevorsteht? Wir werden Platz nehmen müssen an jenem Tisch, an dem noch ein Platz frei ist. Wird uns auffallen, daß wir den anderen, der hier sitzt, kennen? Werden wir entdecken, daß, vielleicht hinter tausend Schleiern, doch bei jenen armseligen Anläufen des Gebetes sein Antlitz es war, das wir suchten? Wird er uns sagen können, daß er uns kennt aus jener verborgenen Begegnung mit dem Geringsten?

[34] „Dein Antlitz, Herr, will ich suchen!“ Er kennt uns, wo wir lieben; wir kennen ihn, wo wir beten.

II

Als ich einige Zeit nach meiner Bischofsweihe eine der Abteien des Bistums zum ersten Mal besuchte, begrüßte mich die alte Äbtissin: „Ich kenne Sie gut.“ Ich war überrascht und suchte in meinen Erinnerungen – vergebens. Die Äbtissin: „Wenn man soviel für einen betet, dann kennt man ihn.“