„Christi Liebe ist stärker“
[1] Gehört die Zukunft wirklich dem Stärkeren? Ja, es kann nicht anders sein. Aber wie heißt die Macht, die stärker ist, die andere Mächte überholt und der deshalb unsere Zukunft gehören wird? Auf diese Frage suchte der Freiburger Katholikentag 1980 Antwort zu geben – und doch ist eine wichtige Frage offengeblieben. Sein Leitwort hieß: „Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“. Diese Worte Zukunft und Hoffnung hatten Zugkraft. Viele, auch und sogar besonders viele junge Menschen haben sich dem Rhythmus dieser Worte geöffnet. Es war bewegend zu sehen, wie solcher Rhythmus der Hoffnung ansteckt und den Gegenrhythmus der Resignation, des Rückzugs, der Anpassung überholt. Und die „Hoffnung“ von Freiburg – es ist übrigens dieselbe, auf welche auch der Nürnberger Evangelische Kirchentag im Juni 1979 hinweist: „Zur Hoffnung berufen“ – ist nicht ein Allerweltsgefühl, nicht ein Optimismus, der auf uns selber und unserer guten Laune aufbaut. Nein, die Hoffnung von Freiburg ist Hoffnung gegen alle Hoffnung; Hoffnung, die deswegen recht hat, weil nicht wir sie uns geben, sondern weil Gott sie uns gibt: „Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben!“
Doch nun eben die Frage: Was wird aus solcher Hoffnung? Wie lösen wir sie ein? Ist sie nicht wie ein äußerst lichter Horizont – aber der Weg dahin führt uns über Straßen, die irgendwo aufhören, und wer weiterläuft, fällt in den Abgrund? Und wenn die Straßen tragen: trägt uns auch unsere Kraft? Werden wir nicht irgendwo erschöpft und ermüdet stehenbleiben, auf uns selbst zurückgeworfen? Zukunft und Hoffnung geben einen Impuls, aber wie setzt dieser Impuls sich um, wie wird er Gegenwart, Gegenwart gegen Widerstände? Gegenwart, die über Widerstände und Gefährdungen hinweg in die Zukunft führt. Nochmals: Was ist stärker? Was ist die Macht, der die Zukunft gehört?
Hier knüpft das Leitwort des Berliner Katholikentags 1980 an: „Christi Liebe ist stärker“. Gott gibt nicht irgendwo eine leere Verheißung. Gott sendet seinen eigenen Sohn in unsere Situation der enttäuschten Erwartungen und zerbrochenen Hoffnungen. Jesus liefert sich aus an unser Schicksal, Jesus liefert sich aus an alles das, was offenkundig und in der bitteren Erfahrung der Weltgeschichte stärker ist als jene Liebe, die gibt, vergibt, sich hingibt, nicht aufgibt.
[2] Seine Botschaft hatte den Horizont der Hoffnung aufgerissen. Seine Taten der Liebe und seine Zeichen der Hoffnung hatten etwas aufscheinen lassen von der Größe Gottes, die stärker ist als unser Elend. Und nun sagt dieser Jesus den Jüngern, daß er in den Tod gehen werde, daß er nicht mit einem Gewaltakt die Herrschaft Gottes aufrichten werde. Ist er doch nur ein Phantiast? Ist er einer, der doch an den Verhältnissen und Egoismen scheitert? Jesus gibt den Jüngern Brot und Wein und sagt, es sei sein Leib und sein Blut. Aber dann geht er fort von ihnen und stirbt einsam und verlassen. Erst als sie dem Auferweckten begegnen, erst als Jesus sie auf dem Weg nach Emmaus begleitet und in Jerusalem durch die verschlossenen Türen ihrer Angst hindurch zu ihnen kommt und ihnen den Frieden schenkt, erkennen sie: Er ist stärker, seine Liebe ist stärker. Brot und Wein sind in der Tat er selbst, er, der immer bei uns bleibt, er, dessen Liebe uns nicht verläßt, auch wenn sie in äußerlich unscheinbaren Zeichen sich hineingibt in unseren Alltag.
Mit Christi Liebe, die stärker ist, läßt sich die erhoffte Zukunft Stück um Stück einlösen in Gegenwart. Das Reich Gottes wird durch die Liebe nicht „hergestellt“, das Glück wird durch die Liebe nicht „fabriziert“. Aber Tod und Schuld werden verwandelt, das Leben und die Verhältnisse werden von innen her neu, wo wir Christi Liebe stärker sein lassen. Und Christi Liebe stärker sein lassen, heißt zweierlei. Es heißt zum einen: glauben an seine Liebe, diese Liebe an uns herankommen lassen, sie gestaltend eindringen lassen in unser Leben. Und es heißt zum anderen: diese Liebe mittun, diese Liebe weitergeben, selbst in die andere Logik dieser Liebe einsteigen und über alle Angst und alles Versagen und alle Enttäuschung hinweg, sich ihr anvertrauen. Was solche Liebe bedeutet und wie solche Liebe geht, das ist Thema des Katholikentags an Fronleichnam 1980 in Berlin.