Neuer Ansatz in Sicht?

[36] Pastoral: die Brücken fehlen

Muß man indessen für die Pastoral diesen weitgespannten Horizont bemühen? Wer jedoch die heute „gefragten Fragen“ auf ihre bewegende Mitte hin liest, der wird unausweichlich in die Nähe dessen geraten, worauf unsere Analyse der Zeit hinauslief. Auch in unseren Gemeinden, in unserer Jugend, bei unseren Alten begegnen wir in einer bedenklichen Häufigkeit scheinbar alltäglichen Erfahrungen des Alleinseins, der Kontaktschwäche, der Langeweile, der Ungeborgenheit, der Angst. Sie sind der Hinweis auf eine tieferliegende, auf eine Grunderfahrung. Man könnte sie nennen die Grunderfahrung der fehlenden Brücken. Man kommt nicht über sich hinaus, nicht zu seinem Nächsten, man findet nicht hinein in diese Gesellschaft, in diese Kirche, ist immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen, auch vor Gott. Hiergegen entwickelt man doch in jeder lebendigen Pfarrei vielerlei Aktivitäten – und doch wird man den Eindruck nicht los, wir kurieren nur an den Symptomen herum.

Man findet keine Brücken über sich hinaus – aber auch im eigenen Leben fehlen die Brücken. Das Christentum und der Alltag, die Familie und der Beruf, die Rolle in der Gemeinschaft und die Rolle in der Gesellschaft, das Gesicht, das ich im Spiegel sehe, und das Gesicht, das ich meinem Mitmenschen mitbringe, dies alles bricht auseinander, es fehlt die Integration. Auch diese zweite Erfahrung am Ende der Neuzeit reicht unmittelbar hinein in jede Gemeinde. Deswegen verzweifeln viele am Christentum oder lassen es enttäuscht auf sich beruhen, weil es ihnen nicht mehr als das eine Wort erscheint, das die vielen Erfahrungen ihres Lebens deutet, nicht mehr als der eine Punkt, in dem sich die vielerlei Fluchtlinien sammeln, die Welt und [37] Dasein durchziehen.

Und nochmals fehlen die Brücken – oder genauer gesagt: der Glaube wird von dem, der glaubt, oftmals als Brücke erfahren, die das andere Ufer nicht erreicht. Ich sage ja zu meinem Glauben; aber es will mir nicht gelingen, aus diesem Glauben wirklich den Brückenschlag zu meinem Leben zu finden, so daß dieses Leben vom Glauben durchdrungen und gestaltet wäre. Es will mir nicht gelingen, von meinem Glauben den Brückenschlag in die Gemeinschaft zu finden, in meine Familie, in meine Gemeinde, in die Gesellschaft. Mein Glaube ändert dort nichts, ändert nicht einmal mich selbst. Es fehlt dem Glauben die elementare Kraft.

Alles in allem: nicht nur das Zeitalter braucht jene neue Idee, welche die Einsamkeit der neuzeitlichen Freiheit aufsprengt, welche die unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Lebensbereiche integriert, welche elementar genug ist, Denken, Leben und gesellschaftliches Handeln zugleich neu werden zu lassen. Unsere Pastoral, ja schärfer gesagt, unser Christentum braucht diese selbe Idee, diese selbe neue Kraft. Damit ist aber etwas Schockierendes gesagt. Hätten wir nicht erwarten dürfen, daß das Christentum selbst jene Alternative, jener Ansatz, jene Idee ist, die aus den Engführungen der Neuzeit herausführt? Nun aber zeigt sich: Auch im Christentum, in der Kirche, in der Pastoral haben wir die Antwort nicht einfach auf Lager, können wir die Lösungen nicht einfach abrufen. Sind Fragen, gefragte Fragen, aber eben antwortlose Fragen wirklich das Letzte?

Und doch, wenn Gott in seinem Sohn sein Innerstes und Letztes, das ganze Wort seiner Liebe gegeben hat, wie sollte darin nicht auch der Ansatz für die Antwort geborgen sein, deren unsere bedrängendsten [38] Fragen bedürfen? Dieser Einwand hat sein Recht, aber er ist kein beliebig einlösbarer Gutschein. Gott läßt uns nicht allein, aber er nimmt uns den Weg der Geschichte nicht ab, er dispensiert uns nicht von der Solidarität mit den Sorgen, Fragen und Nöten aller Menschen, aller Zeit.