Christsein

[166] Die Bezeichnung derer, die sich zu →Jesus als dem →Christus bekennen, als Christen, kam in Antiochia auf (vgl. Apg 11,26). Sie geschah zuerst von außen u. hatte primär eingrenzende Funktion, breitete sich aber rasch allgemein aus. Eine weitere, auf die Gemeinschaft mit dem Leiden Christi bezogene Stelle des NT, die den Christennamen nennt (1 Petr 4,16), führt in die innere Tiefe dessen, was Ch. sagt. Von der Sache her ist das Ch. Ziel u. Inhalt der gesamten Predigt Jesu, ja des gesamten NT. Der Gesichtspunkt des Ch. erschöpft zwar allein nicht die christl. Heilsbotschaft, sofern sie eben von Gott u. von dem die ganze Schöpfung umspannenden →Reich Gottes spricht; sofern sie aber immer Botschaft an den Menschen ist u. in allem seine glaubende Antwort herausfordert, ist sie dennoch umgreifend u. an jeder Stelle Anweisung zum Ch. Faßt man die wesentlichen Gesichtspunkte zusammen, die vom NT her Ch. als Ch. konstituieren, u. versteht man diese Aussagen auf den Horizont der gegenwärtigen Situation des Ch. hin, so tun sich vier einander ergänzende Hinsichten auf: 1. Ch. als Glaube u. Bekenntnis; 2. Ch. als Nach- [167] folge; 3. Ch. als Gemeinschaft; 4. Ch. als Menschsein.

1. Ch. alsGlaube u.Bekenntnis. Ch. heißt zuerst: sich zu Jesus als dem Christus bekennen. Das bedeutet zunächst: überhaupt eine Hoffnung haben, sich von Gott mit der Möglichkeit beschenken lassen, daß es einen Sinn des Daseins u. der Welt gibt u. daß dieser Sinn nicht bloß durch eigenes Denken u. Tun oder durch ein immanentes Welt- oder Entwicklungsgesetz erschlossen, sondern daß er geschenkt, von Gott offenbart wird. Es heißt des weiteren: diese Offenbarung Gottes in Botschaft u. Werk Jesu glaubend wahrnehmen, Botschaft u. Werk Jesu als die Zusage Gottes verstehen, in welcher er selbst sich schenkt; das schließt aber ein, die Offenbarung Gottes in Jesus als endgültig anzunehmen. Wo Heil u. Sinn des gesamten Daseins u. der gesamten Welt als Selbstzusage Gottes verstanden sind, da ist die Botschaft dieser Selbstzusage von sich her endgültig, nicht nur eine Stimme unter anderen, sondern das „Amen“ Gottes selbst zu allem, was die Weltgeschichte an Zeichen der Hoffnung u. Verheißung birgt (vgl. 2 Kor 1,20; Apg 3,14). Das Glauben an die Offenbarung Gottes in Jesus ist aber noch mehr, ist Glauben an Jesus selbst. Gott sagt nicht etwas zu, sondern sich u. sich nicht in bloßer Allgemeinheit oder Vieldeutigkeit, sondern in der Person Jesu selbst. Seine Hingabe für die vielen ist Selbsthingabe Gottes (vgl. Joh 3,16). Jesus ist der „treue Zeuge“ (Apk 1,5; 3,14), mehr noch: er ist das →Wort Gottes selbst, das Fleisch geworden ist (vgl. Joh 1,1–14), der →einziggeborene Sohn. Ch. bedeutet also: die Frage des Täufers an Jesus richten, „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ u. die Antwort Jesu darauf annehmen (vgl. Mt 11,2–6); anders gewendet: es heißt, sein Leben ein Glauben an den Sohn Gottes sein lassen, der uns geliebt u. sich für uns dahingegeben hat (vgl. Gal 2,20b); nochmals anders gewendet: es heißt, den Glauben an Jesus als den Christus als Glauben an die Liebe Gottes selbst vollziehen (vgl. 1 Joh 4,2 u. 15 f). Glaube schließt von der Radikalität dessen, woraufhin er sich richtet, notwendig seinen Vollzug [168] als Bekenntnis, als äußeres Bezeugen des innerlich Angenommenen mit ein (vgl. Rom 10,9 f).

2. Ch. alsNachfolge. Der Ruf Jesu, an die Frohe Botschaft vom Nahegekommensein der →Herrschaft Gottes zu glauben, ist Ruf zur →Umkehr, die das ganze Dasein umwendet, sich also nicht in einem bloß intellektiven Glauben u. bloß verbalen Bekennen erschöpft (vgl. Mk 1,15). Nachfolge Christi ist nicht Zusatz zum Glauben, sondern konstitutive Weise dieses Glaubens selbst. Es bleibt daher von entscheidender Bedeutung, daß Jesu Predigt nicht als bloße Vermittlung von Information u. Lehre, sondern als Berufung zur Jüngerschaft geschah. Die Sätze: Jesus verkündet das Reich Gottes, und: Jesus beruft →Jünger, sagen im Grunde dasselbe (vgl. die Berufungsgeschichten in allen Evv.). Dieses „Prinzip“ gilt auch für die apostolische Predigt, ihre Bevollmächtigung durch den erhöhten Herrn geschieht im Auftrag, alle Völker zu Jüngern zu machen (vgl. Mt 28,19). Die Nachfolge, die verschiedene Gestalten ihrer zeichenhaften Auswirkung von Anfang an kennt, umfaßt aber immer drei Elemente:

a) das Lassen von Sicherungen u. Fixierungen. Wo damit Ernst gemacht wird, daß →Heil u. Sinn des gesamten Daseins vom Handeln Gottes, von seiner Zusage in Jesus erwartet werden, da muß sich das im Verhältnis zu den welthaften Gegebenheiten ausdrücken. Sie verlieren den Charakter des Einzigen u. Unaufhebbaren, an welchem Glück u. Erfüllung des Lebens unbedingt hängen. Sie werden gehabt, als hätte man sie nicht (vgl. 1 Kor 7,29–31). Dies bedeutet jedoch nicht nur Freiheit von ihnen, sondern auch neue Freiheit zu ihnen, da das Heil Gottes in Jesus Freigabe der gesamten Schöpfung in ihren Sinn u. in ihre Vollendung bedeutet (vgl. 1 Kor 3,22 f).

b) das Handeln, wie Jesus Christus gehandelt hat bzw. handelt. Nachfolge bedeutet Nachahmung, glaubende Verbindung mit Jesus bedeutet Eingehen in seine Weise, auf den Vater u. auf die Menschen hin zu sein (vgl. z. B. Joh 13,15; Rom 15,3–7; 1 Kor 11,1; 1 Petr 2,21 u. ö.). Es geht hierbei nicht um eine äußere Kopie, sondern um die Weg- [169] gemeinschaft mit dem Herrn in den Grundsituationen des Daseins: in der Annahme des Willens des Vaters, auch wo er eigenen Wünschen u. Vorstellungen widerspricht, im →Leiden, in der Hingabe an den →Nächsten, also überall dort, wo der Mensch, der nur von sich oder den Umständen u. Überschaubarkeiten des Daseins das Heil erwartete, selbstherrlich oder verzweifelt wäre. Die Zusammenfassung des Handelns, wie Jesus handelte, ist das neue Gebot (Joh 13,34 f): zu lieben, wie er geliebt hat. Hier wird deutlich, daß im Handeln wie Jesus nicht nur die persönliche Nähe zu ihm angezielt ist, welche das eigene Dasein „rettet“, sondern auch das Zeugnis, in welchem Jesus selbst weiterlebt u. aufgeht in die Geschichte hinein.

c) im Sein in Christus. Nachfolge bedeutet nicht nur Orientierung der verfügbaren Vollzüge des Daseins am Vorbild Jesu, sondern daß das eigene Sein in Jesus, dem einzigen Sohn, selbst von Gott angenommen ist u. hineingenommen ist in die →Sohnschaft Gottes (vgl. z. B. Gal 4,1–7; Röm 8,14–17). Handeln wie Jesus begründet u. vollendet sich im Sein in Jesus. Nachfolge ist also zuhöchst Geschenk, u. auch die Vollendung des Vollzuges der Nachfolge besteht darin, sich beschenken zu lassen, im Glauben seine eigene Unvollkommenheit anzunehmen als die Stätte, an welcher Gott wirkt u. sich zum Vorschein bringen kann (vgl. 2 Kor 12,9). Von hier her wird aber auch verständlich, daß es mehr als eine zeitbedingte Kultform ist, wenn Ch. sich nicht nur in den Vollzügen des Glaubens u. Lebens, sondern in den Zeichen seinshafter Verbundenheit mit Christus verankert: in den Sakramenten (vgl. bes. Rom 6,1–11).

3. Ch. alsGemeinschaft. Ch. als Bekenntnis u. als Nachfolge betreffen zwar das Innerste u. Eigenste des Menschen, sind aber von allem Anfang an nicht nur privat. Das Bekenntnis u. der Glaube, der in ihm lebt, binden wesenhaft die Bekennenden u. Glaubenden zur Gemeinschaft zusammen. Die Predigt Jesu versammelt jene, die sie annehmen, der Ruf Jesu stiftet die Gemeinschaft der Jünger. Dies liegt nicht nur an der →Öffentlichkeit, in welcher die Predigt [170] Jesu u. seiner Apostel geschieht, nicht nur am Wie des Angebotes der Offenbarung Gottes in Jesus, sondern auch an ihrem Was. Wenn Gott →Liebe ist, kann diese Liebe nur in Liebe anwesend sein, Liebe aber hat als ihren einzigen u. entscheidenden Ort das Zwischen, die Gemeinschaft. Es ist ihr Wesen, zu verbinden. Die Gegenseitigkeit der Liebe, wie er geliebt hat, vermag allein das Zeichen zu sein, an welchem die anderen erkennen, daß das eine weiterwährende Wirklichkeit ist, was das Wort der Verkündigung sagt, mehr noch, daß der, den das Wort der Predigt als den Lebendigen verkündet, inmitten der Gemeinde lebt (vgl. Mt 18,20). Die höchste (nicht nur pragmatische, sondern streng theologische) Intensität u. Leidenschaft erreicht die apostolische Predigt dort, wo es um die Einheit der Christen miteinander geht, gerade sie ist die Stätte u. Weise der Nachfolge Jesu (vgl. bes. Phil 2,1–11; Eph 4,1–13; 1 Kor 1,10–13). Die Bitte des Johanneischen Christus um die Einheit der Seinen, wie er u. der Vater eins sind, zeigt die Vollendung u. Mitte des Ch. auf (vgl. Joh 17,21–23): in solchem Einssein sind die Christen hineingenommen in den Lebenskreis der göttlichen Einheit u. öffnet sich dieser Lebenskreis zeugnishaft ins Leben der Menschheit hinein. Kirchesein ist so kein Zusatz zum Ch., sondern dessen Vollzug. Dann freilich, wenn das Kirchesein bloße →Institution würde, wenn es nicht mehr transparent wäre fürs Ch., wäre es die Verdeckung seiner selbst.

4. Ch. als Menschsein. Eine entscheidende Tiefe des Ch. bliebe verborgen, wenn nicht noch auf jene Seite des Evangeliums geachtet würde, die sich gerade nicht vordergründig im Ch. erschöpft. Jesu Botschaft richtete sich ans ganze →Volk Israel, zielte also gerade nicht auf die Gründung einer esoterischen Heilsgemeinde ab. Der ursprüngliche Sinn des Ev. ist das glaubende Volk. Die ausgegrenzte Gemeinde der Christen entstand erst dadurch, daß das Evangelium nicht vom gesamten Volk angenommen wurde. Christentum als „Gruppenglaube“ behielt, ja gewann jedoch auf neue Weise seinen universalen Charakter, der ihm vom Ursprung der Predigt Jesu her eignet; →Kirche wurde [171] zur Kirche aus Juden u. Heiden, somit aber zum neuen Gottesvolk, das die Berufung der gesamten Menschheit zum Heil u. Reiche Gottes durch Jesus ausdrückt u. darstellt (vgl. hierzu bes. Apg 10,1–11, 18; Rom 9–11; 15,7–13; Eph 2,11–22). Ch. wird so zum Einssein mit solchen, mit denen man von den natürlichen Voraussetzungen her gerade nicht eins wäre. Dieses Einssein hat aber nicht geschlossenen, sondern wesenhaft offenen Charakter: es genügt nicht, daß in der Kirche Juden u. Griechen, verschiedene Traditionen, Kulturen u. Anschauungen versöhnt sind; es muß auch heißen, daß die eine Botschaft, allen Menschen angeboten, als Antwort auf alle menschlichen Fragen u. Wirklichkeiten bezogen ist. Ch. ist nicht nur Gemeinschaft der Christen miteinander, sondern Gemeinschaft der Christen mit allen. Es muß am Vollzug des Ch. sichtbar werden, daß der Mensch u. alles Menschliche in Jesus angenommen u. berufen sind (vgl. z. B. 1 Petr 2,1–12). Daher gehören zum selben Ch. die unbedingte Entschiedenheit (vgl. Lk 11,23) u. die unbedingte Offenheit (vgl. Mk 9,40). So sehr also die Entschiedenheit von Bekenntnis u. Nachfolge, der Mut zu Kirche u. Gemeinschaft zum Ch. gehören, so offen muß das Ch. sein, Jesus auch dort ernst u. wahrzunehmen, wo er außerhalb aller etablierten Grenzen u. Institutionen lebendig ist. Ch. Lässt sich nicht in bloßes Menschsein auflösen, doch nur wo Ch. unverkürztes Mensch sein gewährt, vermag es die Wirklichkeit der Erlösung zeugnishaft weiterzugeben.