Enthusiasmus

[1049] I. Bedeutung

Im Ursprung meint das griechische Wort Gotterfülltheit, religiöse Begeisterung. Heute bezeichnet man damit Begeisterung überhaupt, Hingerissensein von einem „Geist“, d. h. von einem erregenden und erfüllenden Antrieb.

II. Wesen

E. ist nicht etwas „am“ Menschen, sondern der Mensch ist in ihm: enthusiastisch sein heißt „drinnen“ sein, in dem leben und sich bewegen, was doch als Geist seinerseits innen im Menschen lebt und ihn bewegt. Der andere Grundzug des E. ist: aktives „Außer-sich-Sein“, Aus-sich-hinaus-gehoben-und-getrieben-Sein des Menschen durch seinen begeisternden Geist. Drei Bezugsrichtungen zeigen sich: Der begeisternde Geist ist innerhalb des E. das erste und einzige, sein „unbedingtes“ Woher. Diesem entspricht ein universales Wohin: Der Geist begreift alles ein, treibt grenzenlos weiter, geht alle an, nimmt alles zum Ausdruck, übersteigt alle Schranken (→Transzendenz). Das Ich des Menschen aber ist, dritte Richtung, „außer“ sich, bloße Mitte zwischen dem Woher und Wohin, von sich weggewendet, doch so gerade mit sich eins. Indem der Geist aus ihm aufgeht, geht es selber auf, gewinnt selbst neue, höhere Ursprünglichkeit; zu allem hingewandt, ist es mit allem und mit sich selbst beschenkt. E. heißt: aus dem Geist von sich weg bei allem und darin mit sich und allem eins sein.

[1050] III. Unterschied zum Alltagsbewußtsein

Verborgen ist auch im Alltagsbewußtsein der Mensch „enthusiastisch“; er sagt nicht ursprünglich: Ich sehe dies so oder so, sondern: So ist es! Er ist also von sich weg zu allem, zur Welt gewandt und behauptet darin zugleich die →Wahrheit: Ja, so ist es in Wahrheit, auch ohne mich, unbedingt! Er geht nur als Ich auf, indem, seiner Behauptung nach, die Wahrheit in ihrer früheren, unbedingten Ursprünglichkeit mit aufgeht. Im Alltagsbewußtsein ist ihre leitende Ursprünglichkeit unter der Anstrengung seines Sorgens, Fragens, Behauptens und Beherrschenwollens verborgen. Dafür aber ist offen, daß er mit der Wahrheit nicht selbstverständlich eins ist. Er gibt sein Wort immer als wahr aus, lebt immer aus einem →„Geist“ (→Spiritualität), einer treibend-bestimmenden Auslegung von →Wahrheit und →Welt, aber ob dies der Geist der Wahrheit sei, ist nicht vorweg entschieden. Sein Wesen ist im E. offenbar als Einheit mit dem Unbedingten, doch sein Dasein steht in Spannung zum →Wesen: es ist nicht selbstverständlich, daß er ist, und nochmals nicht, daß sein Dasein die Höhe des Wesens einholt, daß er also „erfüllt“ ist. E. ist dem Menschen daher ebenso wesentlich wie ungewöhnlich, läßt sich weder „machen“ noch „halten“.

IV. Merkmale zur Beurteilung

Echt ist E., wenn sein Geist wahrhaft unbedingt und universal, wenn er also Geist der Wahrheit und wenn das Ich wahrhaft vom Geist erfüllt, nur seine vermittelnde Mitte ist (→Mystik). Auf enthusiastische Steigerung hin angelegt, läuft der Mensch Gefahr, den Geist sich anzumaßen, der nur geschenkt sein kann. Hierher zählen ästhetische Imitation als unernster, individueller oder sozialer Rausch, als ungeistiger E.: Geist – oder eben Ungeist – dienen nur als Mittel zur Enthemmung, Bestätigung oder Steigerung des Ich. E. unechten Geistes ist Fanatismus. Der Geist der Wahrheit läßt alles sein als das, was es ist, sein E. ist die andere Seite der Gelassenheit, seine Leidenschaft gilt allein dem: das Unbedingte unbedingt, das Bedingte nur bedingt sein zu lassen.

V. Theologischer Verweis

Entsprechung zum Wesen und Spannung zum Dasein des Menschen enthalten einen die →Natur übersteigenden, erst aufgrund ge- [1051] schehener Gottesoffenbarung in Jesus lesbaren Verweis des E. Menschsein heißt mehr als Mensch und so gerade ganz →Mensch sein, offen sein für und im Bunde sein mit dem unbedingten Ursprung, der im menschlichen Ich, dieses allererst gewährend, verborgen je mitaufgeht (→Religion). Das Geheimnis Jesu, unzertrennte und unvermischte Einheit von Gottheit und Menschheit in seiner einen Person verwirklichen den Menschen so, im absoluten Überstieg seiner Natur, aufs höchste, zeigen zugleich das Urbild des Menschen überhaupt, wie Gott ihn gnadenhaft erdacht hat. Gliedsein an Jesus im →Heiligen Geiste ist entsprechend Vollendung unseres Menschentums, „Einlösung“ des menschlichen E. Der E. des Urchristentums wird offenbar als anfängliche Darstellung des Wesens von →Kirche, die freilich in dieser Weltzeit ebenso notwendig in der Solidarität mit dem Alltagsbewußtsein steht (→Charismen). Das Zugleich von E. und Alltagsbewußtsein, die stete Vermittlung zwischen beiden und der Ausweis ihrer Echtheit ist das Kreuz.

LITERATUR: A. A. C. Shaftesbury, A Letter concerning Enthusiasm (Lo 1711, dt. L 1909); I. Kant, Kritik der Urteilskraft (B 31799) § 29; R. Otto, Das Heilige (1917, Mn 351963); E. Fink, Vom Wesen des E. (Essen 1947); B. Welte, Das Heilige in der Welt: Freiburger Dies Universitatis 1948/49 (Fr 1949) 141 bis 183; R. A. Knox, Enthusiasm (O 1951), dt.: Christliches Schwärmerturn (Kö 1957); Leeuw; W. Trillhaas: RGG3 II 495f.; O. Kuss, E. und Realismus bei Paulus: Auslegung und Verkündigung (Rb 1963) 260–270.