Welte, Bernhard Joseph, Prof. Dr. theol., Dr. h. c.
[344] Geb. 31. 3. 1906 in Meßkirch, ord. 10. 3. 1929. 11. 4. 1929 Vikar in Villingen, Münsterpfarrei. 29. 10. 1929 Cooperator in Freiburg, Dompfarrei. 1. 5. 1934 Sekretär des Erzbischofs Dr. Conrad Gröber. 1938 Doktorpromotion über das Thema „Postbaptismale Salbung“ an der Theol. Fakultät der Universität Freiburg i. Br. 1942 Vertretung des zum Wehrdienst einberufenen Dozenten Dr. Max Müller. 1946 Privatdozent für Apologetik, 1. 10. 1948 Diätendozentur an der Theol. Fakultät der Universität Freiburg i. Br. 16. 4. 1951 planmäßiger außerordentlicher Professor für Grenzfragen zwischen Philosophie und Theologie in Freiburg i. Br. 1955/56 Rektor der Universität Freiburg. 14. 11. 1966 Päpst. Hausprälat. 1. 8. 1974 emeritiert. Gest. 6. 9. 1983 in Freiburg i. Br., beerd. 9. 9. 1983 ebda., Bergäckerfriedhof.
In sich versunken und dem Nächsten freundlich zugewandt, die kleinen Dinge scharf beobachtend und doch über die Vordergründe hinausschauend, geprägt von Maß und Disziplin und zugleich den Köstlichkeiten dieser Erde zugetan, drinnen lebend und nach außen gewandt, das Geheimnis schier spröde hütend und doch in sprudelnder Mitteilung Erfahrenes weitergebend – so haben Ungezählte Bernhard Welte, sein Gesicht und seine Gestalt, seinen Gang und seinen Gestus, sein Wort und seine Art erfahren. Wie soll in kurzen Zügen das weitergegeben werden, was diesen ungewöhnlichen Denker, Priester, Lehrer und Menschen prägte? Vielleicht ist es gut, so etwas wie einen „Vierfarbendruck“ in Worten zu versuchen: Bernhard Welte als Theologe und Philosoph, als Priester und Seelsorger, als Freund seiner Heimat, als zeitgeschichtliche Gestalt.
1. Bernhard Welte als Theologe und Philosoph
Die Dinge aufgehen lassen, wie sie von sich her sind, sie so sich selber zeigen lassen, daß wir sie wie zum ersten Mal sehen und doch alles das in ihnen sehen, was wir zuvor schon unbemerkt an ihnen gesehen haben, das ist die philosophische Methode, mit welcher Bernhard Welte an die Fülle der Erscheinungen herantrat, die in unserem Alltag, in der Tiefe unserer Existenz und im Kontext unseres christlichen Glaubens uns begegnen. Er war Phänomenologe, war einer, der sehen konnte und sehen lehrte. Gerade in dieser unbefangenen und unverstellten Weise des Zugangs zu allem, was sich zeigt, entdeckte er die Spur des Ewigen, die leise Anwesenheit des Geheimnisses, den Weg, der uns vor das Antlitz Gottes führt. Behutsam ging er vor, um dieses Geheimnis nicht zu verletzen, um nicht vorschnell etwas oder jemand zu „vereinnahmen“. Gerade so wurde er zum Wegweiser und Weggefährten für viele, welche bedrängt waren von den Verbergungen und Verstellungen des Ewigen in unserer Zeit, des Göttlichen in unserer säkularisierten Welt. Er schalt nicht diese Welt und das, was in ihr dem Glauben und der Tradition entgegenzustehen, ihnen abgewandt zu sein schien. Er schaute zu, er schaute tiefer, er entdeckte die verborgene Sehnsucht nach dem Göttlichen, seine Spiegelung auch noch im Gegensatz. Auch die fremden und fernen großen Geister wurden so zu Zeugen, und umgekehrt fingen gewohnte und scheinbar vergilbende Traditionen des Denkens an, von unserem Leben, von dem zu sprechen, was uns innerlichst heute bewegt.
Die Phänomenologie, seinen Landsmann Martin Heidegger, die großen Meister der Scholastik und die Mystik, die Philosophen des deutschen Idealismus zog er hinein ins Gespräch um Gott, um Jesus Christus, um den Glauben.
Das Evangelium in seiner Frische, in seiner unbestechlichen Lauterkeit, in seiner durch kein theologisches System aufgearbeiteten Fülle fing für ihn und durch ihn unmittelbar zu sprechen an, wurde Botschaft, Ruf, Geschenk. Das Eigene und Andere des Glaubens verlautete im Kreis der ebenfalls in ihrem Eigenen und Anderen von ihm geachteten Wissenschaften, und ein fruchtbares, oft bislang kaum geahntes Gespräch hob durch ihn und um ihn herum an.
Noch ein weiteres Gespräch muß hier, für ihn ganz wichtig, genannt werden: Das Gespräch zwischen den Epochen der Glaubensüberlieferung, zwischen den ehrwürdigen [345] Gestalten der Tradition und Versuchen heutigen Denkens, denselben Glauben zu formulieren. Das Übersetzen, nicht als ein äußerer Sprachvorgang, sondern als der wagende und wahrende Weg von Ursprung ins Jetzt und vom Jetzt zurück zum Ursprung war seine Leidenschaft.
Das Werk Bernhard Weltes gehört im Bereich der Vermittlung zwischen christlichem Glauben und heutigem Denken zu den kühnsten und behutsamsten Pionierleistungen überhaupt.
2. Bernhard Welte als Priester und Seelsorger
Priesterliche Existenz und Seelsorge einerseits, wissenschaftliche Lehre und Forschung andererseits standen für Bernhard Welte nicht unverbunden nebeneinander, sie waren von innen her zur Einheit verschmolzen, zur Einheit, die dennoch die Unterschiede der Sichten und Ansätze wahrte. Wie schon angedeutet, ist Bernhard Welte durch seine Vorlesungen und Seminare und darüber hinaus in der sehr persönlichen Weise des Begleitens seiner Schüler und Studenten Wegweiser und Weggenosse auf dem Weg des Glaubens und auf dem Weg zum Glauben in einem außergewöhnlichen Maße geworden. Seine Vorlesungen und Vorträge waren von Fragenden und Suchenden, von Menschen, die Orientierung brauchten, aber auch auf Vertiefung drängten, weit über den Rahmen der Theologischen Fakultät hinaus aufgesucht. Viele Jahre war Bernhard Welte Präfekt der Universitätskirche, und dies war ihm eine Herzmitte seines Wirkens. Seine allsonntäglichen Predigten strahlten nicht weniger aus als die Vorlesungen. Und so sehr es ihm gelang, Menschen in Glaube und Kirche Heimat zu geben, die sie anderwärts nicht fanden, so sehr war er doch darum bemüht, nicht eine Sonderwelt neben der „normalen“ Seelsorge aufzubauen, sondern ins Gesamt der Kirche Wege zu öffnen, mit dem Gesamt der Pastoral im lebendigen Kontakt zu stehen. Er hatte viele priesterliche Freunde, kannte gut sein Heimatbistum, in welchem er ja 14 Jahre lang der Sekretär des Erzbischofs Conrad Gröber gewesen war. Besonders zu nennen ist sein unschätzbarer Anteil am Aufbau der – wie sie damals hieß – Studentengemeinde unter Wolfgang Ruf. Aber daneben gab es noch einen anderen, verborgenen Strom seines priesterlichen Wirkens. Lange Zeit war er der regelmäßige Liturge und Prediger im Freiburger Heim für körperbehinderte Mädchen, und viele geistliche Kostbarkeiten schlichter, aber eindringlicher Verkündigung sind ihm hier zugewachsen.
Bernhard Welte, das muß in diesem Kontext gesagt werden, war zutiefst ein Beter, und die Titel der großen Sammelbände seiner bedeutsamen Aufsätze und Vorträge sagen etwas von seiner eigenen Existenz: Auf der Spur des Ewigen – Zeit und Geheimnis – Zwischen Zeit und Ewigkeit.
3. Bernhard Welte als Freund seiner Heimat
Im Kleinen das große Geheimnis aufzuschließen, im Unscheinbaren auf die Spur des Ewigen zu kommen, das war nicht nur der phänomenologische Stil des Philosophen Bernhard Welte. Dieser Stil stand auch in Wechselwirkung mit seiner Art, den Lebensraum zu bewohnen, zu begehen und zu verstehen, in welchen er eingebunden war. Man konnte ihn sich nicht vorstellen in Loslösung von seiner alemannisch-schwäbischen Heimat. Die Sprach- und Denkwelt von Meßkirch, die Kultur- und Naturlandschaft zwischen Schwarzwald und Vogesen, das war einfach sein Mutterboden. Und diesen Mutterboden kannte er. Die Blumensträuße und die Grenzsteine, die Patronate der Pfarrkirchen und die Monumente der Kunst hatten ihm zu erzählen, und er hatte Ungezähltes in ihnen zu erzählen. Wer ihn kennenlernen wollte, der mußte mit ihm wandern, der mußte sich von ihm Blumen und Gräser, Gewanngrenzen, Geschichten alter Herrschaften und Dörfer erklären lassen, den Tropfen kosten, der hier wuchs, den Formen eines Kapitels einer alten Säule nachspüren. Diese Verbundenheit mit der eigenen Heimat aber hatte nichts Provinzielles an sich, sondern diese Heimat verwob sich wie von selbst mit den großen Traditionen der Kultur. Das ganze Abendland von seiner römischen Prägung her wurde ihm zum Heimatraum, und er hatte im Sinn, mit seinem früh verstorbenen Freund Professor Kollwitz zu- [346] sammen eine „theologia monumentalis“ herauszubringen, Umbrüche und Verwerfungen, Zusammenhänge und Entwicklungen theologischen Denkens an Bilddokumenten und Baudokumenten zu erheben. Und schließlich befähigte ihn das Verhältnis zur eigenen Heimat dazu, andere Kulturen, ihre Sprache und Botschaft zu verstehen: Fernöstliches, Lateinamerika, der Nahe Osten, Israel und der Libanon zumal, waren die Stationen dieses Weges der Erweiterung seines Denk- und Lebensraumes, der dennoch in der oberrheinischen Mitte zentriert blieb.
4. Bernhard Welte als zeitgeschichtliche Gestalt
Die Erweiterung des eigenen Heimatraumes deutet es an: Bernhard Welte lebte in der immer mehr eins werdenden Welt. Sein Rektorat der Freiburger Universität zählte zu den glanzvollsten und wirkungsreichsten, und solange er aktiv dem Lehrkörper angehörte, blieb er eine der prägenden Gestalten im Wachsen und im Wandel seiner Hochschule. Die Öffnung für Neues und Ungewohntes im gleichzeitigen Wahren des Gewachsenen und Unveräußerlichen, dies war ihm ein Herzensanliegen, das er mit Leidenschaft und Zähigkeit, aber mitunter auch in prophetischer Kraft vertrat. Ein besonderes Augenmerk gehörte dem Austausch mit dem Denken, der Wissenschaft und der Kirche anderer Kulturkreise. Die Förderung des Austauschs zwischen lateinamerikanischen, zumal argentinischen und deutschen Theologen geht entscheidend auf ihn zurück. Gegen das Auseinanderfallen von Wissenschaft und Hochschule in beziehungslose Sektoren, für ein umfassendes, die Disziplinen und die Kulturen, die Welten und die Menschen vereinendes Gespräch setzte er sich mit äußerstem Nachdruck ein. In den zeitgeschichtlichen Auseinandersetzungen gegenwärtig sein und dennoch mit seinem Herzen verankert bleiben in dem, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, Welte und Stille, diese Synthese war und bleibt Bernhard Welte.