Dein Herz an Gottes Ohr

[37] Der Gott, der Wunder tut

Manchmal schien es uns einfacher, Gott täte überhaupt keine Wunder; denn wenn er Wunder wirkt, dann begreifen wir nur so schwer, warum er sie oftmals nicht wirkt, warum der Himmel so oft verschlossen zu bleiben scheint über schreiender Not.

Sollen wir um das Wunder bitten?

Schauen wir auf Jesus. Wir können, bei allem Ernstnehmen des Sinnbildhaften und Weltbildhaften auch in den Texten der Evangelien, an der Tatsache nicht vorbei, daß er sich selbst als einen verstand und unmittelbar als einer verstanden wurde, der Gottes Taten vollbringt, der wirkt, was der Mensch aus sich nicht wirken kann. Er setzt die Zeichen der kommenden Gottesherrschaft, er sagt uns zu und beglaubigt durch sein Handeln, daß Gott es nicht bei der Übermacht des Bösen und der Vergänglichkeit belassen, sondern sein Reich heraufführen will. Der Finger Gottes ist in ihm da, die Macht Gottes reicht in ihm herein in unseren Erfahrungsraum. Aber die Zeichen und Wunder Jesu sind nur die Morgenröte, sie sind nicht der Sonnenaufgang der Gottesherrschaft. Diesen erfahren wir anderswo: in der größten Katastrophe und dem größten Wunder zugleich, in der größten Ohnmacht und Macht Gottes zugleich, im Geschehen des Pascha, in Kreuz und Auferste- [38] hung. Erlöst sind wir erst dort, wo der Sohn Gottes unsere Schuld ausleidet und unseren Tod mitstirbt, wo er von unten und innen her unser Nein zu Gott und Gottes Abwesenheit aus dieser Welt „aufarbeitet“ in der Liebe, über die hinaus eine größere nicht gedacht werden kann. Und erst diese Liebe, die untergeht, siegt.

Die Wunder werden dadurch nicht überflüssig, sie sind nicht Zierat des Eigentlichen und Konzession an unser Sehen- und Greifenwollen. Gott zeigt uns, bis wohin seine Macht und seine Liebe reichen, die uns ganz und nicht nur im Höchsten und Innersten beschenken, erlösen und verwandeln will. Und sie setzt uns darin auch für unser Tun, für unseren Einsatz in der Welt ein Maß: Hoffnung auf das letzte Heil entbindet nicht vom Wirken für das nächste Heil, will sagen vom nächsten Schritt, der dem Menschen in seiner unmittelbaren Not hilft und das Unheile, soweit es nur geht, verbannt und verwandelt. Aber dieselbe Liebe, die uns handeln heißt, läßt uns auch Gottes Wunder erhoffen und erbitten, und sie befähigt und führt uns über alle Wunder hinaus zum größeren Wunder der gekreuzigten Liebe. Wir müssen um dieses Wunders willen nicht die Wunder aus dem Leben Jesu und aus unserem Leben herausstreichen. Diese Wunder aber verstehen wir umgekehrt nur dann recht, wenn sie uns nicht lähmen, sondern beflügeln, das größere Wunder des Paschageheimnisses auch in unserem Leben und in unserer Welt zu ergreifen.

Vielleicht wird dies konkreter an der Erfahrung eines jungen Menschen. Er kam, sozusagen wider Willen, mit einer Pilgerfahrt nach Lourdes, voll von [39] Reserven und Unsicherheiten. Die Wallfahrt jugendlicher Kranker, das Gebet dieser Menschen in einem vollen und tiefen, aber nicht berechnenden Vertrauen an der Grotte überwältigte ihn. Er selbst, der sich nicht nur mit dem Problem Lourdes schwertat, sondern mit dem Glauben insgesamt immer wieder seine Not hatte, faßte sich ein Herz und betete: „Könntest du nicht auch mir einen Glauben geben, der nie mehr wankt, der immer seiner selbst sicher bleibt?“ Aber da geschah es ihm, daß er es wie eine Antwort erfuhr: „Bitte nicht um dieses, sondern bitte um Licht jeweils für den nächsten Schritt; das wirst du erhalten, und es wird dir genügen!“ Und von jenem Augenblick an setzte die Heilung seines Glaubens ein.