Und das Wort ist Kind geworden

[39] Die Zukunft ist schon geboren

Neben der Kasse im Supermarkt steht ein Kinderwagen mit einem Säugling. Niemand im Gedränge achtet auf den anderen, alle sind damit beschäftigt, so rasch wie möglich dranzukommen und fertig zu werden. Aber vor dem Kind machen viele halt, lächeln ihm zu, sagen ihm ein Kosewort. Kinder haben die merkwürdige Macht, die Fremde und Stummheit in unserer Gesellschaft zu durchbrechen und das Netz einer Beziehung zu knüpfen, ganz einfach durch ihr Dasein.

Kinder gehören zu ihren Eltern, zu ihrer Familie, aber zugleich gehören sie zu uns, zu allen. Sie sind sozusagen ein „gemeinsames Gut“. Irgendwie gilt für Kinder allgemein, gilt für jedes Kind, was der Prophet von einem Kind verkündete: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt“ (Jes 9,5).

Kinder sind Geschenke, Geschenke an uns, an alle. Was ist uns in ihnen geschenkt? Antwort: die Zukunft. Schon äußerlich stimmt es: Wenn es keine Kinder gäbe, dann hätte die Menschheit keine Zukunft. Aber unsere Antwort hat noch eine tiefere Schicht. Unwillkürlich erfahren wir das Kind wie eine Verheißung, wie die Morgenröte einer erhofften besseren Zukunft.

[40] Wir richten an ein Kind nicht nur die Frage: Welche Zukunft hast du?, sondern auch die Frage: Welche Zukunft bringst du? Und in der Tat, wie die Zukunft sein wird, was in ihr geschehen und nicht geschehen wird, es hängt ab von denen, die heute Kinder sind. Die Zukunft ist schon geboren – in den Kindern, die geboren werden.

Jeder von uns ist einmal Kind gewesen. Aber auch wenn wir „glücklich“ und „erfolgreich“ sind: Haben nicht wir alle das unterboten, was an Zukunftserwartung in uns hineingelegt wurde? Das Heil, die Rettung, jenes Ganze, Gute, das wir von der Zukunft erhoffen – dafür sind unsere Schultern, die Schultern aller, die als Kinder geboren sind, zu schwach.

Stimmt das? Die Schultern aller? Hören wir nochmals den Propheten: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende“ (Jes 9,5f).

Die Zukunft ist uns geboren in dem, der uns zur Weihnacht geboren wurde: in Jesus. In ihm ist Gott selbst in unsere Mitte gekommen. Der Herr der Zukunft ist ein Kind geworden. Abseits, in der Krippe im Stall zu Bethlehem, wurde er geboren. Aber es ist geschehen, was, und mehr noch, es will geschehen, was mit dem Säugling im Kinderwagen geschah, neben der Kasse im Supermarkt: [41] Das Kind wird zur Mitte, das Kind schafft Gemeinschaft, verbindet, vereint. „Ein Kind ist uns geboren.“

Holen wir dieses Kind in unsere Mitte, suchen wir es gemeinsam wie die Hirten von Bethlehem, leben wir so, daß es bei uns Lebensrecht hat, Heimat findet. So wird es Frieden stiften, Zukunft schenken. Viele werden die Hoffnung finden, wenn sie den Herrn in unserer Mitte finden. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20).

Das ist ein Schlüsselwort für die Zukunft: Wir in seiner Liebe vereint – der in unserer Mitte, in dem die Zukunft geboren ist.1


  1. Weihnachtsgruß 1985. ↩︎