Der Ruf nach Klarheit und Offenheit

[410] Wieso weicht Küng von der katholischen Lehre ab?

Daß an ihnen schon die Theologie im Ganzen hängt, das hat auch Professor Küng selbst bemerkt und vermerkt. Er betont immer wieder, daß er in der Kirche bleiben will, betont, daß er auch die Worte „Sohn Gottes“ und „Wort Gottes“ als Titel für Jesus Christus anerkennt. Sogar daß er dem Petrusamt und in der Folge dem Papstamt hohe Bedeutung für die kirchliche Einheit zuerkennt. Aber es ist kennzeichnend, daß er eben auf ganz gewisse Fragen nicht antwortet oder auf sie nicht jene Antwort gibt, welche die kirchliche Tradition gab. Wenn es nur um die bessere Übersetzung, Zugänglichkeit, Verständlichkeit des in den traditionellen Begriffen Gesagten ginge, dann gäbe es keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Aber es geht schon sehr tief um den Ansatz selbst. Und keiner, der die in diesen Fragen entscheidenden Texte von Professor Küng mit Aufmerksamkeit liest, kann dies eigentlich übersehen.

So oft entsteht der Eindruck, in der Auseinandersetzung mit ihm ginge es nur um die Selbstverteidigung der Kirche in einigen Punkten, die als historisch doch problematisch erschienen, wie Unfehlbarkeit des Papstes. Es geht um sie auch –und es muß um sie gehen, weil einfach das Erste Vatikanische Konzil ein gültiges Konzil war und ohne allen Zweifel vom Zweiten Vatikanischen Konzil voll angenommen und bestätigt, wenn auch organisch weitergeführt wurde. Wenn aber die bleibende Verbindlichkeit dessen, was ein allgemeines Konzil als endgültig festgelegt hat, in Frage gezogen wird, dann läßt sich das mit der gesamten verbindlichen Tradition der Kirche von Anfang an nicht mehr vereinbaren.

Karl Rahner hat einmal gesagt, daß jedes Dogma nicht nur ein Endpunkt, sondern zugleich ein Anfangspunkt der dogmatischen Entwicklung sei. Und das stimmt gewiß. Kein Dogma ist ein Stopschild für das Weiterdenken, eine Scheuklappe, die neue, weitere Perspektiven ausblendet. Viele große Theologen von heute – ich nenne die Namen eines Karl Rahner oder eines Hans Urs von Balthasar – haben kühne neue Entwürfe gewagt, etwa auch in der Frage nach Jesus Christus. Aber sie haben gefragt, wie das alte Glaubensgut, das in den Konzilien verbindlich formuliert wurde, in diesen neuen Perspektiven Platz hat, was es in ihnen bedeutet. Sie versuchen eine echte Übersetzung. Und bei einer Übersetzung muß der ganze alte Text in eine neue Sprache und in deren Verständniszusammenhang eingebracht werden. Sicher müht sich auch Professor Küng um Überset-[411]zung – aber in seinen Anfragen z. B. an den Sinn, die Möglichkeit und die Bedingungen eines irrtumslosen Sprechens der Kirche streicht er wichtige Passagen des verbindlichen Textes aus, will er auf sie verzichten. Dann aber ist eben die Grundlage nicht mehr da, auf welcher theologische Lehre im Auftrag der Kirche erfolgen kann.