Sprechen von Gott

[46] Zur Situation des Sprechens von Gott

1.1 Sprechen von Gott steht heute in einer eigentümlichen Spannung. Alles ist veröffentlicht, über alles wird geredet, alles an der Plakatsäule angeklebt, in den Medien verhandelt und von den Wissenschaften analysiert. Von allem ist die Rede, aber gerade darum kommt das, was die Rede eigentlich lohnt, nur schwerlich ins Wort. Alles wird gesagt, aber man hat sich weithin nichts mehr zu sagen. Auf der einen Seite stehen der Mut und die Lust, alles zu verbalisieren, auf der anderen Seite steht die Hilflosigkeit davor, das Entscheidende zur Sprache zu bringen. Um eine andere Seite derselben Situation zu beleuchten: auf der einen Seite wird die Sprache „gleichgeschaltet“, es gilt das Postulat, daß jeder jedes verstehen können muß; der Einebnung aller Unterschiede in einem umfassenden Einheitsjargon korrespondiert auf der anderen Seite aber das Zerbrechen der Kommunikation. Was den Menschen bewegt, kommt vor in einer solchen Vielzahl von Sondersprachen, daß der eine oft nicht mehr weiß, was der andere wirklich denkt. Gleichklang aller Sprachen und Unverständlichkeit der Sprachen füreinander nehmen zugleich zu, über alles kann geredet, nur das, was der Rede wert wäre, kann nicht mehr mitgeteilt werden.

In dieser Situation wird zumal das Sprechen von Gott problematisch. Es droht zur Leerformel zu werden oder zur esoterischen Spezialität, unter der jeder sich etwas anderes vorstellt und bei der mitunter jener selbst, der die Rede führt, nicht mehr genau weiß, was er damit sagt.

[47] 1.2 Doch nicht nur heute, sondern von seiner eigenen Sache und vom Wesen des Sprechens her steht Sprechen von Gott in einer merkwürdig gespannten Situation. Sie signalisiert sich in einem Satz, den vor 1500 Jahren Leo der Große im Blick auf das Geheimnis der Menschwerdung sagte und der sich in vielen anderen Sätzen der Geschichte widerspiegelt: „Gerade das, was es uns schwierig macht zu reden, ist auch der Grund, der uns nicht schweigen läßt.“[1] Aus derselben Wurzel rührt also die Ohnmacht, von Gott zu reden, und die Unmöglichkeit, von ihm nicht zu reden. Wer Heiliges erfährt, wer Unbedingtem begegnet – das bezeugt die große Tradition der „theologia negativa“, aber auch die Scheu mancher kritischer Anfrage von heute an das Sprechen von Gott –, der erfährt, wie sehr vor dem Gemeinten jedes Wort zum Gerede, zur bloßen Phrase gerinnt, zur hoffnungslosen Unterbietung dessen, worum es geht. Zugleich aber wird offen: wenn nur nichts gesagt wird, so wird das Entscheidende, Wichtigste ortlos unter den Menschen. Der verlöre sich selbst, der nicht den Mut hätte, sich zu bekennen zu dem, was, indem er es bekennt, von ihm doch verfremdet wird durch sein Gestammel oder seine verfügend klingende Formel.

Diese beiden Spannungen, die Spannung der Sprachsituation unseres Zeitalters und die Spannung jeglichen religiösen Redens, ja jeglichen Redens von Unbedingtem überhaupt, schwingen ineinander, und sie bringen zugleich die Frommen und die Unfrommen, die Fragenden und die Glaubenden, jene, die glauben, nicht glauben zu können, und jene, die glauben, glauben zu können, in die Not um das Reden von Gott.

1.3 In dieser Not bedarf es der Orientierung. Die Grundfrage lautet indessen nicht: Wie kann man so von Gott reden, daß diese Rede „ankommt“, verständlich wird? Denn was nützt Verständlichkeit der Rede, wenn die Rede selbst nicht das versteht, von dem sie redet? Das Maßnehmen der Ohnmacht, von Gott zu sprechen, an Gott selbst ist der einzige Weg, damit Sprechen von Gott [48] „möglich“ wird, und erst diese der Ohnmacht sich schenkende Möglichkeit eröffnet dem Sprechen auch den Weg, sich selbst und darin auch seine Sache verständlich zu machen.

Daher sind die folgenden Überlegungen aus der Perspektive des Glaubens formuliert. Doch gerade sie ist eine offene Perspektive. Glaube weiß sich nämlich als Antwort auf ein Wort, das seinerseits, als liebende Anrede Gottes an den Menschen, bereits Antwort auf die Frage des Menschen ist; und Glaube weiß sich des weiteren als Antwort auf Gottes Wort, das in dieser Antwort des Glaubens verlauten, weitergesagt, bezeugt werden will für andere. In der Perspektive des Glaubens kann so auch die Frage an das Reden von Gott und die Not um das Zeugnis von Gott mit zur Sprache kommen.