Theologie als Nachfolge
[5] Vorwort
Vorliegendes Buch ist aufgrund einer einstündigen Vorlesung an der Universität Freiburg im Sommersemester 1974, dem 700. Todesjahr Bonaventuras, entstanden. Es erwächst aus der Überzeugung, daß Bonaventura wie nur wenige Gestalten der großen Tradition ein Theologe für heute ist, fähig, unserer Not um den Glauben und um seine theologische Reflexion Wegweiser zu sein. Das Buch will keine umfassende Einführung oder Auslegung des Gesamtwerkes von Bonaventura geben, es greift vielmehr jene Gedanken aus seinem Werk heraus, die besonders geeignet erscheinen, den Zugang zu ihm und die Impulse aus ihm heutigem Denken zu erschließen. Die Partien im Werk, die sich auf die Problematik des Ordens, auf die Praxis des geistlichen Lebens, aber auch auf rein dogmatische oder moraltheologische Fragen beziehen, treten mehr in den Hintergrund. Das Buch wurde bewußt so geschrieben, daß auch ein des Lateins Unkundiger dem Text folgen kann. Um dem persönlichen Weiterlesen in Bonaventura einen Anreiz zu bieten, wurden mit Vorrang solche Schriften herangezogen, von denen es eine lateinisch-deutsche Ausgabe gibt. An Einführungen und Kontexten zum dargestellten Gedanken sei besonders verwiesen auf É. Gilson, Die Philosophie des heiligen Bonaventura (Darmstadt 1960), auf den Abschnitt von Hans Urs von Balthasar in Herrlichkeit II (Einsiedeln 1962) S. 267-361, was spezielle Untersuchungen angeht auf M. Wiegels, Logik der Spontaneität (Freiburg/München 1969) (Symposion 28), eine Arbeit, die spürbar in derselben Schule gewachsen ist, aus welcher der Autor kommt; zum geistesgeschichtlichen Kontext auf W. Schachten, Intellectus Verbi – Die Erkenntnis im Mitvollzug des Wortes nach Bonaventura (Freiburg/München 1973) (Symposion 44), sowie zum heilsgeschichtlichen [6] Kontext auf J. Ratzinger, Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura (München/Zürich 1959).
Um den aufs erste oft fremden Gedanken Bonaventuras möglichst nahe an unsere Sicht heranzuholen, werden in der folgenden Interpretation Parallelen zu heutiger Problemstellung herausgehoben und Verbindungslinien zu gegenwärtigem Fragen und Denken durchgezogen. Dennoch zwingt die Rücksicht auf Tiefe und Differenziertheit des bonaventuranischen Ansatzes zu einigen „widerständigen“, nicht so sehr gelehrten als eher spekulativ anstrengenden Partien. Sie brauchen indessen von philosophisch weniger Geübten nur kursorisch gelesen zu werden. Das betrifft im besonderen einige Gedankenführungen in den Abschnitten III 1.3, IV 2.2, V 1.2 und V 2.2.
Theologie als Nachfolge – dieser Titel will in eine doppelte Richtung führen: einmal ist Bonaventura ein Hinweis darauf, aus welcher Wurzel Theologie ihren Sinn, ihre Methode und ihre Plausibilität gewinnt; zum andern ist seine Theologie ein Hinweis nicht nur fürs Verstehen des Glaubens, sondern auch für die Übersetzung des Glaubens ins Leben, eben für die Nachfolge. Beides ist heute gleichermaßen drängend.
Freiburg i.Br., 19. März 1975
Klaus Hemmerle