Dein Herz an Gottes Ohr

[51] Beten heißt: schweigen

I

Schweigen als bloße Übung der Konzentration ist noch nicht Gebet, wohl aber kann es zur wichtigen Vorstufe des Gebetes werden.

Es gibt aber auch ein Schweigen, das Beten ist.

Genauer genommen, gibt es drei Stufen des Schweigens, die Beten sind, zumindest diese drei.

Zunächst: Schweigen wird zum Beten, wo ich mich so ins Schweigen hinein sammle, daß ich selber ganz und gar Wort an Gott werde. Wort, das nicht mehr dies und jenes sagt, sondern mehr als alle Worte, einfach mich und in mir alles.

Sodann: Ich kann Schweigen werden, nicht mehr um mich selber Gott zu sagen, sondern um in diesem Schweigen mir von Gott gesagt zu werden. Mein Schweigen, das bin ich – verschwiegen, Schweigen geworden, werde ich hier zum Wort, in welchem Gott mich mir schenkt. Ich verstumme in Gottes mich erschaffendes, erlösendes, liebendes Wort hinein, das mir nicht mehr dieses oder jenes, sondern mich selber sagt: Ich – Wort Gottes an mich.

Schließlich: Schweigen, darin kann ich selber als Wort an Gott und als Wort von Gott nochmals mich lassen müssen, Schweigen sozusagen in zweiter Potenz werden, damit Gott nur noch schweigend sich selbst mir sage und ich so – in aller anbetender Un- [52] terschiedenheit – nichts mehr bin als das Wort, in dem er selber sich mir sagt, er, der je unendlich Größere als ich und so gerade Leben meines Lebens. Aus diesem letzten Schweigen, das nur noch Gott Wort an mich sein läßt, wird das Wort, das Gott ist, in mir zum Wort Gottes an Gott. Ich bin durch seinen Geist hineingenommen in die Anbetung des Sohnes zum Vater – und bin so das Schweigen, das als Schweigen ganz geeint ist und ganz unterschieden von diesem Wort, das sich dem Vater schenkt.

Aber: Wird nicht hier gerade das Wort brüchig, das solches verlauten läßt, unser Wort, das davon spricht? Und doch: „An jenem Tage werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und ich bin in euch“ (Joh 14,20).

„Jener Tag“ bricht an, wo wir, von ihm gerufen, mit uns selber hindurchgehen durch seine Nacht, die Nacht des Karfreitags.

II

Die Stummheit brechen, die Sprachlosigkeit überwinden, das ist keineswegs schwerer als das andere: still werden, das Gewirr der Stimmen verklingen lassen in den reinen Ton des Schweigens.

Sicher, dieses Stillwerden ist Voraussetzung, daß Gebet mich enthalte, mir gelinge. Aber was soll ich tun, um diesen Grund, der mein Beten allererst trägt, zu erreichen? So sehr es gilt, daß ich still sein muß, um beten zu können, so gilt doch noch zuvor: Ich muß beten, um still zu werden.

Doch wie geht das? Ich darf Ihm sagen: Höre [53] durch die vielen Stimmen in mir hindurch auf die eine Stimme meines Herzens, die ich selbst nicht höre! Schaue mit dem Auge deiner Liebe durch die Regungen und Bewegungen, die den Grund meines Herzens bedecken, so daß ich ihn nicht wahrnehmen kann, hindurch bis auf den Grund! Höre auf den, der ich bin, auch wenn ich der nicht bin; schaue auf den, der ich bin, auch wenn ich der nicht bin. Und so werde ich der sein.

Vielleicht verstummen die Stimmen nicht, vielleicht verebben die Wogen nicht – aber in ihnen, unter ihnen bereitet sich das Schweigen, der Friede, der größer ist als ich und mich trägt.

III

Nicht ohne Grund ist dies die vielleicht am häufigsten erzählte Gebets-Geschichte: Der heilige Pfarrer von Ars trifft immer wieder in der Kirche einen schlichten Bauern aus seiner Gemeinde an, wie er vor dem Tabernakel kniet und, ohne die Lippen zu bewegen, stundenlang dort verharrt. Er fragt ihn: „Was tust du hier die ganze Zeit?“ Und er antwortet: „Ganz einfach. Er schaut mich an, und ich schaue Ihn an.“

Daß Beten Schweigen ist, daß Schweigen Beten wird, das geschieht in unvergleichlicher Dichte vor dem Tabernakel.

Das Wort ist Fleisch geworden. Ja, wir dürfen sagen: Das Wort ist Brot geworden. Der Herr, der sich für uns in den Tod gibt und in der Eucharistie den Weg findet, daß dieser Tod Leben ist, daß aus die- [54] sem Tod er selber da ist, bei uns ist als der Lebendige, so daß wir von ihm leben können – dieser sich in der Eucharistie verschenkende Herr bleibt da, sozusagen im „Wartestand“, um zu jeder Stunde hingetragen und ausgeteilt zu werden an den, der krank ist, der ihn als Wegzehrung braucht. Und vor ihm, dem Brot-Gewordenen, darf ich verweilen, in ihn darf ich mich hineinhalten.

Der Tabernakel, in dem er wartet und sich hinhält, wird zum brennenden Dornbusch, zur Stätte, an welcher Gott seinen Namen offenbart: „Ich bin der Ich-bin-da“ (Ex 3,14). Jahwe hat diesen Namen dem Mose mitgeteilt, hat in ihm seinem Volk zugesagt, mit seinem Dasein für Israel die Geschichte und den Weg des ganzen Volkes im vorhinein zu umfangen. Er hat zugesagt, immer neu für sein Volk immer derselbe zu sein. Sie können sich auf ihn verlassen, aber nicht sozusagen ihn im Rücken lassen, um dann mit seiner Kraft selber Zukunft zu planen und herzustellen; nein, der Weg geht anders. Auf sein Wort hin weitergehen, glaubend sich auf ihn allein verlassen, auch in das Nichts, an die Mauer, in die Unmöglichkeit hinein weitergehen – und glauben, daß Er da sein und alles wenden, auffangen, gutmachen wird. Nicht dies oder jenes wird die Zukunft Israels sein, sondern einfach Er – Er wird immer noch und immer neu da sein.

Wo ist dies ganz eingelöst? Im gekreuzigten Dasein des Sohnes Gottes, der unsere ganze Geschichte, das Schicksal eines jeden einzelnen und von uns allen in sich auffängt und umfängt. Dort, wo dieser für uns in den Tod Gegebene als der Lebendige sich hinhält und da ist: in der Eucharistie.

[55] Ich darf hingehen zum Tabernakel, so wie ich bin. Beladen mit Ängsten, Unsicherheiten, Zerstreuungen, Verwirrungen, Hoffnungen. Ich darf mich mitbringen – hin vor das Brot, das er ist. Er wird mir keine großartigen Antworten geben, aber immer ein Wort bereithalten: „Ich bin da!“

„Wie soll es mit mir weitergehen, wo alles so unsicher ist?“ „Ich bin da.“

„Ich weiß nicht, was ich in dieser schwierigen Situation, die nachher auf mich zukommt, antworten, wie ich reagieren, wie ich mich entscheiden soll.“ „Ich bin da.“

„Herr, was willst du, das ich tun soll? Welches ist mein Ruf?“ „Ich bin da.“

„Ich weiß nicht, ob ich mir selber trauen soll, ob ich dem trauen soll, daß ich jetzt vor dir da bin. Suche ich nicht im Grunde nur mich?“ „Ich bin da.“

„Herr, da ist mein Nächster, den ich nicht verstehe und der mich nicht versteht. Ich kann die Brücke einfach nicht schlagen. Ich pralle immer wieder an ihm ab – und vielleicht bin ich doch selber schuld daran.“ „Ich bin da.“

„Kannst du nicht diesem geliebten Menschen, vor dessen Kreuz ich wehrlos stehe, Rettung und Hilfe anbieten?“ „Ich bin da.“

Und wenn so alles in mir laut wird und still wird in Ihn hinein, der da ist, da wie ein Stück Brot und im Stück Brot, dann gerinnt langsam und leise auch in mir etwas Neues. Ich werde mit meinem Dasein sagen lernen: „Ich bin da.“ Ich werde Brot sein können, von dem andere leben. Ich werde Ikone und Sakrament dessen werden, der es mir im Brot sagt und dessen heiliger Name es ist: „Ich bin da.“