Und das Wort ist Kind geworden

[52] „Heilige Familie“in Kolumbien

In älteren Kirchen Kolumbiens begegneten mir immer wieder Darstellungen der heiligen Familie von Nazareth. Aber das Besondere dabei: Es waren sozusagen zwei Familien, einmal die Familie aus Maria, Josef und dem zwischen beiden gehenden Kind; über diesem Kind aber öffnet sich der Himmel, Gott Vater erscheint und der Geist schwebt über dem Kind. Heilige Familie und Dreifaltigkeit gehören zusammen, verbinden sich in Jesus.

Für mich ist in diesem Bild eine dreifache Botschaft enthalten – oder besser gesagt, dieses Bild enthält eine Botschaft in drei Stufen.

Erste Stufe: Gott sendet und schenkt uns seinen Sohn. Er öffnet seinen eigenen Lebensraum, holt uns durch seinen menschgewordenen Sohn in diesen Lebensraum hinein.

Zweite Stufe: Der Sohn Gottes, der unser Menschenbruder wird, hat einen menschlichen Lebensraum, und dieser menschliche Lebensraum ist eine Familie, und zwar eine Familie, die aus [53] Glauben, aus Hören auf Gottes Ruf entsteht. Der Gott, der uns in seine göttliche Familie hineinrufen will, kann sich nur dadurch uns verständlich machen, daß er eben Familie bildet, in einer Familie, in einer Gemeinschaft, in einem liebenden Miteinander lebt. Jesus Christus hat seinen Ort auf Erden zwischen uns, in unserer Mitte, in der Mitte derer, die ihm glauben und einander lieben.

Dritte Stufe: Diese menschliche Gemeinschaft aber ist eine Weggemeinschaft. Maria und Josef sind mit Jesus unterwegs. Dieses Unterwegssein erschöpft sich nicht darin, daß wir hier auf Erden keine bleibende Stätte haben, sondern immer weiter müssen, bis wir die ewige Heimat erreicht haben. Unterwegssein hat einen noch weiteren und tieferen Sinn. Jesus macht sich nicht fest in seiner irdischen Familie, er will immer neu und immer weiter Familie bilden, die Familie Gottes auf Erden soll immer breitere Kreise ziehen, bis alle eins sind und so die Welt glauben kann (vgl. Joh 17,21).

In diesen drei Stufen wird mir das Bild von der „doppelten heiligen Familie“ sprechend. Der Vater hat uns seinen Sohn gesandt, und er nimmt uns alle in diese Bewegung der Sendung hinein, damit wir nicht für uns leben, sondern den anderen das Geschenk des Glaubens weitertragen. Das ist die Verpflichtung eines jeden einzelnen zum persönlichen Zeugnis und Einsatz, es ist aber auch die Verpflichtung dazu, den Ruf Gottes an die anderen zu stützen und mitzutragen. [54] Der Christus, der in die ganze Welt gehen, der alle zu seinen Jüngern machen will, der immer tiefer alle Bereiche unseres Lebens durchdringen will, er braucht Familie, er braucht Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft darf sich nicht auf den Nahraum der Familie, unserer Gemeinde, unseres Bistums begrenzen. Sicher müssen wir ihn dort bewähren und verwirklichen. Aber wahrhaft göttlich und wahrhaft „katholisch“ ist dieser Raum unserer Gemeinschaft nur, wenn er Weltdimension annimmt.1


  1. Weihnachtsbrief an die Paten der kolumbianischen Priesteramtskandidaten, 1987. ↩︎