Dein Herz an Gottes Ohr

[56] Dem Herrn „aufs Dach steigen“

Daß Beten heiße dem „Herrn aufs Dach steigen“, ist mir mehr als eine aparte Formulierung, wenn ich an die Beziehung zwischen meinem Gebet und jener Geschichte vom Gelähmten denke, der von anderen auf der Bahre zu Jesus getragen wird – und als sie nicht zu ihm gelangen, steigen sie dem Herrn aufs Dach und gewinnen die Nähe zum Herrn auf diesem kühnen Umweg. Als er ihren Glauben sah, sprach er zu ihm (vgl. Mk 2,5).

Ich komme so an das heran, was meinem Beten – nicht im Sinne der theoretischen Begründung, sondern des Vollzugs – die Fürbitte der Heiligen, die Gemeinschaft mit den Heiligen sagt. Ich glaube, das „sein Leben in Gott vollenden“ heißt: bei ihm nicht nur in der Schau, sondern in der Liebe sein, die er ist. Und wer in der Liebe ist, wer bei dem Gott ist, der die Liebe ist, der ist bei denen, die Gott liebt. Und darum will er, daß die Liebe geliebt wird, wie es Franz von Assisi in einem berühmt gewordenen Ausruf formulierte. Die Heiligen packen an, wo wir gelähmt uns nicht zum Herrn bewegen können. Ich kann ihnen sagen: Tragt mich! Und sie tun es, und mit ihnen steige ich sozusagen von oben in den Raum, in welchem der Herr wohnt.

Hier setzt freilich ein nicht ungewichtiges Aber [57] ein. Braucht es das überhaupt? Sieht der Herr mich nicht unmittelbar? Liegt nicht ihm selber an mir? Die Heiligen und ihre Fürbitte, das hat nichts mit Beamtenhierarchie, mit Stufenleiter zu tun, um an den höchsten Herrn, der ansonsten unnahbar wäre, heranzukommen. Nein, Gott ist anders. Aber weil er anders ist, weil er Liebe ist, die sich mitteilt, sich neigt, sich verströmt, deshalb will er nicht allein alles tun, sondern er handelt allein dadurch, daß er so viel wie möglich mit uns gemeinsam tut. Die Liebe ist größer, wo sie nicht nur dem anderen sich schenkt als Gabe, sondern wo sie dem anderen schenkt, schenken zu dürfen.

Ich finde es reicher und schöner, ich bin mehr bei Gott allein, wenn ich mich hineingebe in die Weite und Fülle seiner Liebe, die im Himmel und auf Erden lebt.