Sprechen von Gott

[59] Neunte These:

Jedes Sprechen von Gott, auch das bezeugende, ist Unterbietung Gottes; dennoch ist Sprechen von Gott notwendig, nicht nur vom Menschen, sondern von Gott selbst her: Gott ist als sich verschenkende Liebe in seinem Sprechen und Handeln „Selbstunterbietung“.

Sprechen und Schweigen können Wege jenes Sprechens von Gott sein, das aus dem Schweigen vor Gott ermöglicht ist. Auf die eine Weise freilich behält das Schweigen, auf die andere das Sprechen die Führung. Das Schweigen: Bezeugendes Sprechen, die einzig gemäße Gestalt des Sprechens von Gott, ist Weise menschlichen Sprechens, bei der Gottes Wort die Mitte, so aber zugleich das erste und das letzte Wort ist; der Mensch verschweigt sich in die führende Rolle des göttlichen Wortes hinein, wird Medium, wird Stätte seines Aufgangs. Das Sprechen: Sinn des Schweigens im Schweigen und Sprechen von Gott ist, daß Gott zur Sprache kommt. Das Unterscheidende Gottes nun wird zwar nicht durch das Wort „Gott“ allein und als solches offenbar, es kommt in der Welt des Menschen und seines Denkens aber auch nicht ohne das Wort entschieden und eindeutig zum Vorschein. Nur um der nie auszuschließenden Mißverständlichkeit willen hätte der Mensch nicht das Recht, auf die Dauer das Wort von Gott zu unterlassen; denn Gott selbst hat die Mißverständlichkeit, hat die Endlichkeit, hat das Ärgernis des Wortes nicht gescheut. Weil dieses Wort Gottes – gemäß dem Selbstverständnis christlichen Glaubens – geschichtlich konkret ergangen ist, weil Gott an einer bestimmten Stelle der Geschichte sich dem Menschen ein für allemal geschenkt und überantwortet hat, bedarf das Weiterschenken der Liebe Gottes nicht nur der Liebe des Menschen, in der die seine lebt, sondern auch des verkündenden Wortes, das die Liebe auf den hin auslegt, der sich in ihr dem Menschen gibt. Nach dem Zeugnis des 1. Johannesbriefes besteht Liebe nicht darin, daß wir geliebt haben, sondern daß er zuerst geliebt hat (vgl. 1 Joh 4, 10) – daraus aber [60] folgt die Doppelstruktur der Bezeugung Gottes: sie geschieht je als Liebe und als Wort, als Dienst und als Kerygma, ja Kerygma gehört in die Diakonie der Liebe als deren unmißverständliche Auslegung auf ihren Ursprung hinein.

Zwar ist jedes Wort von Gott ein zu kleines, ein mißverständliches, ein verendlichendes und verengendes Wort. Nicht nur die philosophischen Formeln fassen nicht, worauf sie zielen; auch die Worte, die sich auf Gott, auf sein Sprechen selbst berufen und es weitersagen, sind Unterbietung Gottes. Dies trifft selbst das Wort der göttlichen Offenbarung und erst recht das des christlichen Dogmas[3]. Doch wenn Gott sich nicht zu gut war, sich zu unterbieten, dann darf es auch der Mensch wagen, Gott der Unterbietung seines Sprechens von ihm auszusetzen.

Näher betrachtet, ist die Selbstunterbietung, der Gott sich aussetzt, wenn er spricht, gerade die Spitze seines Sprechens selbst. Die Endlichkeit, die Begrenztheit des konkreten Sprechens der Offenbarung über den unendlichen Gott wurde immer wieder zum Ärgernis der Vernunft. Aber genauso ist Gott: indem er sich die Endlichkeit einer geschichtlichen Gestalt seines Erscheinens, seines Daseins für den Menschen und mit dem Menschen zumutet, zeigt er, was er ist, offenbart er sein Wesen: er ist sich verschenkende, sich ausliefernde, sich entäußernde Liebe. Das Wort, in dem Gott sich gibt, ist die Gestalt, in der er sich selbst klein macht – und gerade in dieser Kleinheit, in dieser Entäußerung und Erniedrigung ist er selbst drinnen als der je Größere, genauer gesagt, als die je größere Liebe. Die Torheit der Predigt (vgl. 1 Kor 1, 21) ist nicht nur ein skurriler Gedanke des unerfindlich souveränen Herrn der Schöpfung, sondern die gemäße Weise, wie die Unerhörtheit seines Sich-Schenkens zur Gegebenheit unter Menschen kommt. Sie setzt auch dem menschlichen Sprechen über Gott das verbindliche Maß.