Sprechen von Gott

[61] Zehnte These:

Mut zur sprechenden Unterbietung Gottes als Mut zur Annahme und Beantwortung seiner sich schenkenden Liebe tut not. Allerdings muß dieser Mut sich dessen inne sein, daß er Gott je unterbietet: Verbindlichkeit des Bezeugens und Geschichtlichkeit der Gestalt des Bezeugens gehören im Sprechen von Gott zusammen.

Wer Gott sucht, muß nach dem Zeugnis der Schrift nicht hinaufsteigen zum Himmel oder hinab in die Unterwelt; vielmehr ist das Wort nah im Herzen und im Mund (vgl. Röm 10, 6-8). Es ist so nah, so unscheinbar, daß es übersehen, daß es in die verwirrende Vielzahl der unzähligen Worte auf dem Markt hineinverrechnet zu werden droht. Gerade diese Armut des Wortes Gottes macht jenes Schweigen doppelt notwendig, von dem eingangs die Rede war. Solche Armut, die durch keine menschliche Kunst, durch keine Kühnheit und Tiefe menschlichen Erkennens und Erfahrens aufgehoben werden kann, bedeutet freilich auch eine letzte Versuchung: Wer aus dem Glauben weiß, daß sein armes Wort für Gott offen ist, so daß dieser sich selbst darin zu geben vermag, darf nicht in die Selbstzufriedenheit und Selbstgenügsamkeit mit seinem eigenen und mit Gottes Wort verfallen. Es ist und bleibt Unterbietung, Gott ist und bleibt gerade als der sich Gebende der Größere, und daher bedarf es des je neuen Schenkens und Sagens dieses Wortes.

Weil Gott in Jesus gesprochen hat, gibt es in der Offenbarung und auch in der Gemeinschaft der Kirche, die unter dem Geist Gottes steht, verbindliches Sprechen von Gott. Aber auch dieses verbindliche Sprechen bleibt geschichtlich, bleibt Wort auf dem Weg, Wort, das auf dem Weg zu wahren ist und das zugleich sich selbst in der Geschichte je neue Wege erschließt. Das letzte, was dem, der von Gott zu sprechen hat, was aber auch der Kirche als ganzer, da sie von Gott zu sprechen hat, bleibt, ist das Durchtragen der Spannung zwischen der Armut des Wortes, in der sich Gott ganz geschenkt hat, und der Konsequenz dieser Armut, daß Gott [62] sich je neu im Menschenwort dem Menschen schenken will. Menschliches Sprechen von Gott ist von Gottes Wort, das Fleisch geworden ist und Fleisch bleibt, ein für allemal ermächtigt, es bleibt aber in solcher Ermächtigung nichtsdestoweniger Wort auf Hoffnung hin, Wort, das seiner Eindeutigkeit und Erfüllung entgegengeht, bis der Herr die Geschichte vollendet und selber sein Wort wiederholt: „Siehe, ich mache alles neu.“ (Offb 21, 5)