Dein Herz an Gottes Ohr
[63] Beten heißt: sterben
Wem jedes Gebet ein kleines Sterben ist, dem wird das große Sterben ein Gebet sein.
Wir können aus dem Gebet nicht wieder herausgehen, wie wir in es hineingegangen sind. Es muß uns im Beten etwas „passieren“ können.
Fragen wir doch einmal das Vaterunser. Natürlich ist es Seligkeit, ist es Rettung, wenn es sich erfüllt. Aber damit uns Seligkeit und Erlösung sei, was Er an uns tut, sind jeden Tag neue Tode fällig; ja jedes Mal, wenn wir beten, wie der Herr uns beten gelehrt hat, ist ein vielfältiger neuer Tod fällig. Beides hängt aneinander: das neue Leben, die neue Freiheit, die neue Zukunft – und dieser Schritt des Abschieds von uns, des Weggebens und Loslassens, eben: das kleine Sterben.
Daß sein Name sich heilig erweisen kann und nicht wir uns behaupten; daß sein Reich, seine Herrschaft unsere eigenen Ordnungen und Vorstellungen „über den Haufen werfen“; daß sein Wille allein maßgeblich ist; daß wir unsere Sorgen und Vorsorgen aufgeben in die mit dem Brot für den Tag beschenkte und beglückte Armut; daß wir Vergebung erfahren im Schenken von Vergebung und uns herausreißen lassen aus Versuchung und Verstrickung des Bösen in die Freiheit der Entschiedenheit für [64] Gott: das sind immer neue Schritte, das ist eine immer neue Auslieferung an den immer selben und doch je anderen, je größeren Gott.
Beten, in der Tat, heißt: immer sterben in Gottes größeres Leben hinein, sich umkehren von einem Leben aus eigener Mächtigkeit in ein Leben aus Gottes einzigem Ursprung.
So wird die Eucharistie, d. h. das Eingehen in das Sterben des Herrn, damit er als der Lebendige unter uns sei, zur Vollendung und zugleich zum Grundrhythmus unseres Betens.
Jedes Gebet ein kleines Sterben, damit das große Sterben ein Gebet, ein Gehen hinein in Gottes Leben sei.