Dein Herz an Gottes Ohr
[84] Bittgebet
I
„Meister“, fragen die Jünger, „der Herr hat doch gesagt: ,Bittet, und ihr werdet empfangen!' – warum erhalten wir so wenig im Gebet?“ Der Meister antwortet: „Der einzelne ist ein Abgrund, und wenn Gott die schönsten Gaben in den Abgrund wirft, so verschwinden sie, wir nehmen sie nicht wahr. Wir müssen ein Netz spannen, um Gottes Gaben aufzufangen. Es ist das Netz der Eintracht und der Liebe. Wenn wir einmütig um etwas bitten, wenn die Fäden des Netzes fest zwischen uns gespannt sind, dann werden wir erhalten.“
II
Ein andermal fragen die Jünger: „Um was sollen wir bitten, damit wir sicher empfangen?“ Der Meister sagt: „Bittet, um was ihr wollt!“ Da kommt der Einwand: „Aber da machen wir doch die Erfahrung, daß viele unserer Bitten nicht erfüllt werden!“ Darauf der Meister: „Noch einmal sage ich euch, bittet, um was ihr wollt. Aber macht bei eurem Gebet einen Zusatz: Herr, gib mir das – oder mehr! Das, was der Herr euch gibt, ist entweder das Erbetene oder etwas Größeres.“ Ein vorwitziger Jünger wirft ein: „Dann habe [85] ich ein wenig Furcht, daß ich immer nur ,mehr', immer nur das ,Größere' erhalte und nicht das, wonach mein Herz sich sehnt!“ Der Meister schaut ihn an und sagt: „Wenn du diese Angst verlierst, wenn dir das Größere größer, wenn dir Gottes Mehr wirklich mehr ist, dann kann er dir auch das Kleinere schenken, ohne daß es dich ablenkt von Ihm, der immer größer, immer mehr ist.“ Der Jünger versteht: „Ja, der Herr sagt uns: Suchet zuerst das Reich Gottes – und das andere wird euch hinzugegeben“ (vgl. Mt 6,33).