Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung

[9] Einleitung

Wo dem Denken die lebendige Wirklichkeit seiner selbst widerfährt, wo es auf seinem Grunde die unauflösliche Erstheit und allumgreifende Einheit des Geistes entdeckt, da fällt das Ende der Selbstverständlichkeit, an dem der Gedanke je seinen Anfang gewinnt, zurück vom Ende des vorfindbaren Seienden auf dessen Anfang: Nicht mehr dies ist erstaunlich, daß sich mehr und anderes als das vorfindbare Seiende zu denken gibt, erstaunlich wird vielmehr, daß „mehr“ und anderes als der unbedingte und alleinige Geist sich zeigt. Selbstverständlich ist nicht die Welt und fraglich Gott; der unbedingte Ursprung, der Geist schlechthin ist das unbezweifelbar Sichere des Denkens, verwunderlich, dem Denken zur Auflösung gestelltes Rätsel ist die Welt.

Das ist der Stand, zu dem sich auf vielfältigem Weg und mit unvergleichlicher Schwungkraft des Gedankens der deutsche Idealismus aus jenem Anfang emporriß, den – scheinbar gegenläufig gerichtet – die kritische Philosophie Kants ihm setzte. In ihr hatte der menschliche Geist in sich selbst das Band der Synthesis des Erkennens gefunden; der Aufgang der Wirklichkeit aus sich her entfloh seinem Zugriff ins unerreichbare Gegenüber, doch das auf sich selbst und seine Grenze gewiesene Denken nahm in der Folge den ihm verbliebenen Schatz, seine Ursprünglichkeit erkennender Synthesis, an sich und enthüllte in ihr den Anteil der alle Wirklichkeit aus sich entlassenden und in sich befassenden Macht schöpferischer Unbedingtheit: alles, was ist, das System des sich vollziehenden Geistes. Gleichwohl bleibt, verwandelt, die Frage nach dem „Gegenüber“, dem „Anderen“: Wie kann es sein, ohne daß mehr ist als der unbedingte und so notwendig alleinige Geist, ja wie kann in diesem, der in sich selbst vollendet, sich unbedingt genug ist, Möglichkeit und Wirklichkeit seines Anderen ihren Anfang nehmen?

Franz von Baaders Gedanke der Schöpfung stellt und beantwortet auf eigentümliche Weise diese Frage seiner Zeit. Der deutsche Idealismus ist seine Welt, so viele Wege geistesgeschichtlicher Überlieferung von weither sich auch in seinem ebenso reich aufnehmenden wie anregenden Interesse kreuzen. Er ist von der Unbedingtheit, Ursprünglichkeit und Universalität des Geistes zutiefst durchdrungen, weiß in ihm den Einklang des All und das All als sein „System“. Im Denken solcher Einheit aber ist er etwas wie der Sachwalter der Unterscheidung, des in aller Identität unüberholbaren Gegenüber von Gott und Welt. Er gewahrt, daß die schöpferisch übergreifende Einheit nur dann wahrhaft übergreift, wenn sie nicht bloß der Ablauf einsamer Notwendigkeit ist, wenn sie vielmehr als Forderung und [10] Gabe sich durchhält und so weder sich selbst noch das Eigensein ihres Geschaffenen auslöscht. Deshalb besteht er darauf, die hinreißende Dynamik des alleinig und in allem und auch auf dem Grunde des menschlichen Gedankens sich selbst vollziehenden unbedingten Geistes in strenger Selbigkeit zusammenzudenken mit dem je partnerischen Gott der Anbetung, der sich zugleich in sein Geheimnis entzieht und in seine Gestalt hinein offenbart. Der Anfang des Seienden trägt sich entsprechend als Schöpfung, als unableitbar freie Tat des ohne sie schon in sich geschlossenen unbedingten, ja göttlichen Selbst zu verstehen auf.

Der Gedanke der Einheit fordert den Unterschied, um sich und sie nicht zu entleeren; bliebe nichts unterschieden, so verschwände die Einheit für sich selbst. Die Erfahrung des Unterschieds im Beschenktsein fordert umgekehrt den Gedanken der Einheit, um das einzuholen, was in der Gabe, den Unterschied übergreifend, gewährt ist. Die Weise, wie Baader Anteil nimmt an der seine Zeit bewegenden Idee des absoluten Geistes und seiner sich und alles zugleich ereignenden Selbstidentität, drängt von innen her zum andersgearteten Denken des unableitbar dialogischen Gegenüberseins; dieses wiederum öffnet sich von selbst in sein Gegenteil, in das alles aus einem entwickelnde und in sich fügende System. Zwei Grunderfahrungen kommen bei Baader so zur Gleichzeitigkeit: die Erfahrung des „Geistes“ und die Erfahrung der Existenz in „Ich und Du“. Auf der einen Seite findet das Denken sich eingetaucht in etwas wie Denken überhaupt; der eigene Gedanke vollzieht durchgängig in sich selbst und als ein selbes jenen Gedanken, in welchem der unbedingte Geist sich und alles in einem vollzieht. Auf der anderen Seite aber weiß das eigene Ich sich anfänglich gerufen und so unvertretbar zu sich selbst und darin zu seinem rufenden Du gerufen; das erste ist die Polarität des Rufes, der sich nicht herleiten, nicht entwickeln läßt, sondern geschieht; in seinem Ereignis verweist er Rufenden und Gerufenen, Ich und Du, je an sich selbst als Anfang und so beide gerade aneinander, ohne sie zu bloßen „Momenten“ eines Ablaufes werden zu lassen.

Die „Gleichzeitigkeit“ dieser beiden Erfahrungen leiht dem Gedanken Baaders seine Eigenart. Der geschichtliche Horizont, vor dem er sich erbildet, ist die Erfahrung des „Geistes“, der Gedanke des Systems. Seine spezifische Differenz aber ist – wenngleich in keinem der großen Konzepte seiner Epoche dieses Unterscheidende einfachhin fehlt – die scharf artikulierte Erfahrung personaler und theologischer Polarität. Baaders Weise, diese Differenz zu denken, bricht indessen nicht mit dem System, erreicht nicht im „Sprung“ eine neue Ebene unmittelbarer Ausdrücklichkeit ihrer selbst. Mit der aus anderer Wurzel gewonnenen Erkenntnis wird eher das System „angereichert“. In das Modell geistigen Selbstvollzuges, das den idealistischen Gedanken naturgemäß im ganzen leitet, trägt sich eine Fülle feiner Zwischenbestimmungen, leicht vergessener Übergänge ein. Die Betroffenheit vom Einmaligen und Unableitbaren des Selbstseins fällt bei Baader so tief in den Willen und in die Überzeugung, den „allgemeinen“ Gesetzen des Seins auf die Spur zu kommen, daß seine Ausdrucksweise am [11] Ende der Begrifflichkeit in die scheinbar dem Personalen entgegengesetzte Phänomenalität des Naturhaften umschlägt und von dort ihre Symbole bezieht. Bleibt freilich zu fragen, ob nicht gerade darin ein verschütteter „früherer“ Zusammenhang des Naturalen und Personalen beschworen wird.

Im „System“ des sich selbst vollziehenden Geistes die Unableitbarkeit des Dialogischen, die Differenz des Göttlichen denken – das verlagert die Hinsicht innerhalb des Grundmodells geistigen Selbstvollzuges auf die Seite wollender Selbstbestimmung. Diese ist „nichts anderes“ als der Vollzug der Natur des Geistes: über sich selbst hinaus offen und im Draußen doch je zu sich selbst hingewendet, im Anderen mit sich identisch zu sein. Zugleich aber ist sie das je unableitbar sich Ereignende, Aufbruch jenes Ernstes des Selbstseins, der in die Verantwortung, in den Dialog verweist, somit an sich selbst „Gleichzeitigkeit“ der genannten Erfahrungen.

Verborgen waltet diese Gleichzeitigkeit im Ganzen des idealistischen Entwurfes: Der Geist, der von sich selbst, von seinem Wesen her als das Prinzip des Allgeschehens gedacht wird, ist kein neutral von außen beschreibbares Etwas, er ist der in der Begeisterung erfahrene und selbst begeisterte Geist, dem über sich hinausgerissene Ekstase und bejahend in sich verweilende Einigkeit mit sich selbst, dem Freiheit und Notwendigkeit dasselbe sind. Begeisterung aber ist Hochform wollender Selbstbestimmung. Baader wendet sich hingegen meist den zögernden, ernüchterten Gestalten des wollenden Vollzuges zu, welche seine „Unselbstverständlichkeit“, seine „Gefährdung“, jenen „Abgrund“ entblößen, der in der Begeisterung überschwungen ist und, so gerade anwesend, den Glanz des Gelingens in ihr zum Leuchten bringt.

So steht Baader am „Rande“ des – hier freilich in fast gewaltsamer Vereinfachung auf seine Mitte hin gezeichneten – deutschen Idealismus und verbindet in diesem zwei scheinbar entfernte, im Grunde gleichwohl verwandte Tendenzen: den Anlaß „systematischer“ Ineinsschau des Ganzen in der Begeisterung, im hingerissen vollendeten „Wollen“, und die ebenfalls in der Phänomenalität des Wollens entspringende Möglichkeit seines Umschlags in ein existentiell-dialogisches Denken. In sich selbst stellt Baaders Gedanke daher eine dichte Einheit und konsequente Verflechtung seiner Gegenteiligkeiten miteinander vor und entgeht gleichwohl nicht einer ebenso faszinierenden wie befremdenden Zwielichtigkeit: Der Anfang des Bedingten aus dem Unbedingten und dessen voranfängliche Geschlossenheit in sich selbst ist mit bohrender Einläßlichkeit „ausgedacht“ – gerade deshalb aber wird über die wollende Bewältigung bloßen Ausdenkens hinaus und zur anfänglicheren Ergriffenheit des Denkens, zu seinem Stand demütigen Empfangens hingedacht, und sinkt das „Ergebnis“ dieses sich übers Denken hinausdenkenden Gedankens in der Vielheit seiner Bestimmungen und in der Absonderlichkeit seiner Bilder doch wiederum zurück vom gesammelten Hymnus ursprünglicher „theologia“, so allerdings des Grundrhythmus allen geistigen Lebens inne, den Baader als beständiges Sich-Fassen und Lassen der Fassung vernimmt. Wenige Ge- [12] danken sind so nah und, in dieser Nähe sich umblickend, doch vielleicht auch so fern dem Geheimnis wie der, den es im Folgenden zu verstehen gilt.

*

Wie soll dieses Verstehen verstanden, wie durchgeführt werden? Vier, im ganzen unerläßliche und je aufeinander verwiesene Möglichkeiten zeichnen sich vor.

Zunächst kann, ja muß Verstehen des Baaderschen Gedankens der Schöpfung heißen: materiale Aufbereitung seiner Aussage über die Schöpfung. Dies ist im Falle Baaders besonders leicht und besonders schwer gemacht in einem. Besonders leicht, einmal weil Baaders umfängliche literarische Hinterlassenschaft übersichtlich und erreichbar vorliegt in der unter Leitung seines Schülers Franz Hoffmann besorgten sechzehnbändigen Gesamtausgabe, die dem Zweck einer weiter ausgreifenden Darstellung und Interpretation hinlänglich Gewähr bietet. Zum anderen hält trotz der Entstehungsspanne der Schriften Baaders von seinen Jugendtagebüchern des Jahres 1786 bis fast zu seinem Tod im Jahre 1841 sein Grundansatz sich von etwa 1798 an durch; zwar verlagern sich Akzente und Hinsichten, wandelt sich der Ausdruck, doch läßt sich in diesen Bewegungen ohne Gewalt die Durchgängigkeit seiner einen Philosophie wahrnehmen.

Die eigene Schwierigkeit einer sammelnden Darstellung der Aussagen Baaders, die zusammen seinen einen Gedanken der Schöpfung enthalten, rührt einmal aus der Fülle seiner Außerungen zu diesem Thema, ja man darf sagen: aus dessen „Allgegenwart“ in Baaders Werk, aus seinem meist nur aphoristisch hingeworfenen und im Bild verschlüsselten Sprechen, aus der Vieldeutigkeit seiner Symbole und Begriffe, aus der losen Faktur nahezu aller seiner Texte und nicht zuletzt aus der Vorliebe für Zitate und überlieferte Formeln, die als die Folie des alten Wahren das höchst eigenwillige Selberdenken Baaders verbergen. Die Aufsammlung in sich, die ihre Ordnung aus dem eingebrachten Material als solchem zu erheben sucht, erweckt den Eindruck der Abwesenheit eines – bei näherem Zusehen unabweisbar sich bezeugenden – einheitlichen Gedankens in der disparaten Vielfalt denkerischer Alliterationen, bunt durcheinandergespielter Motive und, zweifellos, genialer Einfälle. Wenn irgendwo, dann wird bei Baader deutlich, daß nicht das Material das Verstehen, sondern das Verstehen erst sein Material zu einem solchen, eben verstehbaren macht. Nichtsdestoweniger bleibt die mühsame Zuwendung zum Material unerläßlich.

Ein zweiter, ebenfalls grundlegender Weg zum Verstehen Baaders deutete sich in der Schwierigkeit, seinen Gedanken allererst aufzufinden, bereits an; er führt über Baaders ungemein reiche Verflechtung mit dem geistigen Leben seiner Zeit und Vorzeit. Sie ergibt, aus dem faktisch viel breiteren Feld aufs Wichtigste beschränkt, drei Themengruppen, die je in einer Mehrzahl von Einzeluntersuchungen einzuholen wären.

Die erste läßt sich fassen unter dem Titel: Baader und der deutsche Idealismus, wobei der wechselseitige Einfluß von Schelling und Baader [13] aufeinander sowie das Verhältnis zu Hegel von hohem Interesse sind. Als weitere Namen mit besonderem Belang für Baader seien F. H. Jacobi, J. M. Sailer und sei die Münchner Romantik erwähnt.

Ebenso wichtig, ja im Blick auf Baaders Selbstverständnis am wichtigsten ist die Klärung des Einflusses, den Jakob Böhme auf Baader ausübte, die Scheidung dessen, was Böhme selbst, von dem, was Baader durch Böhme hindurch dachte und sagte. Im Umkreis dieser Frage ist ferner die Anregung zu nennen, die Baader von L. C. de Saint-Martin, Martínez Pasqualis, von der Kabbala und den Kabbalisten, von Swedenborg, aber auch von Angelus Silesius und den pietistischen Mystikern, schließlich von Paracelsus empfängt.

Ein dritter, noch nicht hinreichend erhellter Strang ausdrücklicher Verbindung des Denkens führt von Baader zurück ins Mittelalter, zu Thomas von Aquin, Eckhart und Tauler zumal.

Von eigenem Rang und Reiz wäre es außerdem, die Tradition der zahlreichen und „namenlosen“, meist lateinischen Formeln zu verfolgen, in die Baader oftmals seine eigensten und bedeutsamsten Gedanken rafft.

Allein die Erwähnung der so verschiedenartigen Zuströme erweist die Unmöglichkeit, sie in einer einzelnen Studie hinreichend genau zu entmischen und zu verfolgen, die einem thematischen Gedanken Baaders gilt. Sie legt aber auch die Vermutung nahe, ein derart vielfältig und eigenwillig sich speisender Gedanke wie der Baaders könne allein genügend von sich erzählen und dürfe in sich selbst nicht weniger eigenständig und eigenartig sein als in der Auswahl seiner geistigen Verwandtschaft.

Daher ergibt sich eine dritte Weise, dem Verständnis des Baaderschen Gedankens näherzukommen: von dem ausdrücklichen Betracht seiner geistesgeschichtlichen Querverbindungen abzusehen, die materiale Aufbereitung seiner Aussage vorauszusetzen, auf ihrem Ergebnis aufbauend das von Baader Gedachte als Möglichkeit eigenen Denkens nachzuvollziehen und so seinen phänomenalen Anlaß offenzulegen.

Für diese notwendig „übersetzende“ Gestalt des Verstehens und der Darstellung entscheidet sich der folgende Versuch. Er nimmt eine unmittelbare „Einübung“ des Denkens in das von Baader mit Vorzug aufgesuchte Phänomenfeld wollender Entscheidung zum Ausgang und begleitet sodann Baader selbst vom „Anfang“ des Denkens, den er in die Überzeugung vom göttlichen Gott setzt, über die formalen Strukturen, in die er Denken und Sein sich aus solchem Anfang entfalten sieht, zum so ermöglichten und vorgezeichneten spekulativen Gottes- und Schöpfungsgedanken.

Diesem inneren Ziel der Untersuchung gemäß unterbleibt die Verifizierung und kritische Prüfung der von Baader reichlich angewandten Zitate und Anspielungen. Textgrundlage bietet die Gesamtausgabe von Hoffmann; unberücksichtigt bleiben die Frühschriften Baaders, sofern sie seinen endgültigen philosophischen Standpunkt noch nicht klar zum Ausdruck bringen. Bei der Angabe einschlägiger Stellen in Baaders Werk ist auf den verläßlichen Ausweis der vorgeschlagenen Deutung, nicht auf Vollständigkeit um ihrer selbst willen Gewicht gelegt. Die nicht sehr zahlreiche Sekun- [14] därliteratur ist von hoher Bedeutung für die biographische Klärung und materiale übersieht der Philosophie Baaders, berührt unmittelbar Thema und Absicht vorliegender Arbeit aber wenig.

Eine vierte Hinsicht, die Baaders Begriff der Schöpfung erst in seiner gegenwärtigen Bedeutung erhellt, soll zumindest angedeutet werden: Die Wege des Geschicks der Philosophie, des Denkens überhaupt, führen spannungsreich durch Baaders Gedanken hindurch. Dieses Geschick, als das sich in ihnen uns Zu- und Aussagende, bringt uns erst in die eigentliche Gleichzeitigkeit mit Baader. Der folgende Versuch bescheidet sich indessen damit, an der Schwelle dieser Aufgabe anzuhalten, der mannigfachen Begrenzung seines Ansatzes bewußt.