Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters

[9] Geleitwort

Uns Priestern ist es aufgetragen, miteinander im Lebensraum Christi zu sein. Der Aachener Bischof Klaus Hemmerle weist uns in seinem vorliegenden Buch „Gerufen und verschenkt“ den Weg in diesen Lebensraum. Für diesen Dienst sagen wir ihm unseren aufrichtigen Dank. Die Richtung in den Lebensraum Christi ist ein Trend nach unten. Er wird in unserer priesterlichen Berufung immer erkennbar bleiben müssen. Der Trend nach unten ist eine dem Priestertum eingestiftete Richtung, die uns zu den Menschen im Dunkeln hinneigen läßt. Was gleichsam von außen in unserer priesterlichen Berufung nach unten weist, zeigt im Spiegelbild von innen nach oben. Der andere Richtungspfeil gehört notwendig zu unserer priesterlichen Existenz dazu. Er weist auf die Bindung an den hin, der von oben kommt und uns auf dem Weg nach unten vorangeht. Die Bindung an ihn nennen wir vertrauen. Es macht frei vom Erfolgsdenken, von der lähmenden Angst vor Mißerfolgen und auch von der Versuchung christlicher Leistungszwänge. Aus dem Vertrauen zum Herrn wächst uns innere Freiheit. Da kann uns sogar die gepflegte Sorge um unsere Identität abhanden kommen. Es wird uns Gelassenheit geschenkt und zuweilen ein Stück von jenem gefestigten Selbstvertrauen, das die Schrift mit Vorliebe „Demut“ nennt. Die Demut macht uns frei für den Ruf Christi. Sie läßt uns immer in der Rufweite seines Wortes leben. Die Demut macht uns darüber hinaus „vergeblich“, so daß der Herr in seinen Knechten seine Reichtümer austeilen kann. Wir Priester werden unsere inneren und äußeren Überforderungen bestehen, wenn uns täglich die Besinnung auf den Ausgangspunkt unserer Existenz gelingt: auf das Ge-[10]rufensein und auf das Ziel unserer Sendung: auf das Verschenktwerden. Aber Anfang und Ziel, Berufung und Sendung liegen nicht in unseren menschlichen Möglichkeiten, sondern haben ihren Ursprung in den unbegrenzten Möglichkeiten Gottes. Sein Lebensraum ist auch heute noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten in unseren oft so kleinen und engen Lebensverhältnissen. Mach wir uns miteinander auf den Weg in dieses Land.

Berlin, am Fest Kreuzerhöhung 1985

† Joachim Card. Meisner