Das Wort für uns
[94] Sterben können
Der Tod hat es noch selten so schwer gehabt, die für sich zu interessieren, denen er doch unabweislich bevorsteht. Das Verhältnis der Menschen zum Tod hat sich in den letzten Jahrzehnten offenbar verschoben. Wir werden verhältnis-los zum Tod, wort-los vor dem Tod.
Zahlen sagen da nicht allzuviel, denn schließlich hat jeder seinen eigenen Tod zu übernehmen. Aber wie man das Allereigenste übernimmt, das ist doch hineinverflochten in die Meinungen und Einflüsse, die aus der Gesellschaft, der Umwelt, dem allgemeinen Klima auf einen zukommen. Und da zeigt sich höchst Widersprüchliches. Zum Beispiel: Während nach Auskunft der Synodenumfragen unter den deutschen Katholiken für 79 % sehr wichtig ist, daß der Frieden erhalten bleibt, glauben nur 29 %, [95] es sei sehr wichtig, nicht nur für heute zu leben, sondern auch an die Ewigkeit zu denken. Als Glaubensproblem, über das man gern mit einem Sachkundigen diskutieren wollte, wird die Frage, ob nach dem Tod alles aus ist, von 35% empfunden – immerhin ist dieses Thema damit noch das am meisten gefragte.
Eine besonders merkwürdige Zahl: Unter den deutschen Katholiken können sich 74% nicht vorstellen, daß jemand anders als der Priester die Beerdigung halten könne – von den Geistlichen selbst teilen nur 24 % diese Auffassung. Soweit der Tod auch an den Rand des allgemeinen Interesses rückt – man möchte ihn eingebettet wissen in die Sorge oder in die Feierlichkeit der Kirche, und dazu wünscht man den Auftritt ihres geweihten Dieners. Allerdings ist nach Auskunft einer österreichischen Umfrage die Zahl derer, die sich als gläubige Glieder ihrer Kirche bezeichnen, weitaus höher als die Zahl jener, die an ein Weiterleben nach dem Tod glauben.
Nicht nur das Verhältnis zum Sterben, sondern auch die Weise, wie man stirbt, ist vom Umbruch der Gesellschaft betroffen. An die Stelle schrecklicher Epidemien tritt in den Indu- [96]strieländern immer mehr der Verkehrsunfall. Doch wird diese Entwicklung bereits von einer erschreckenden anderen überholt: 1974 gab es in der Bundesrepublik Deutschland vermutlich zum erstenmal mehr Selbstmorde als Verkehrstote.
Vielleicht fühlen wir uns ein bißchen verwirrt durch so vielerlei Zahlen. Lassen wir das einmal so stehen und denken einen Moment lang darüber nach, warum – ich wiederhole – der Tod es heute so schwer hat, die für sich zu interessieren, denen er doch sicher bevorsteht.