Der Religionsunterricht als Vermittlungsgeschehen
Der Grund: „Ankommen“der Moderne in der Lebenswelt*
Wir haben einen Bruch hinter uns, der im Grunde heute erst radikal ankommt, wenn er auch schon sechs- bis vierhundert Jahre alt ist. Es ist der Bruch des Anfangs der Moderne, des Anfangs der Neuzeit. Was ist da passiert? Anstelle der einen Lebenswirklichkeit, in der das Ganze inne war und die mit dem Leben selber tradiert wurde, kam die Rückfrage, die Vergewisserung. René Descartes hat keineswegs deswegen seinen Entwurf vom Subjekt aus vorgenommen, weil er die klassische Philosophie abschaffen wollte, sondern er wollte den Aristotelismus neu begründen in einer nicht mehr durch bloße Autoritätsbeweise gesicherten Plausibilität; und dabei hat er sozusagen das Prinzip der Neuzeit gefunden:
[1. Das Subjekt, das „Ich“ – ob persönlich, strukturell oder kollektiv genommen – ist der Punkt, aus dem heraus Vergewisserung, Weltentwurf und Leben geschieht. Rationalismus und Romantik, beide haben ihre Wurzel im Subjekt.
[375] 2. Aus diesem „Ich“ wird die Wirklichkeit konstruiert. Machbarkeit wird in einem sublimen, nicht banalen Sinne zum Prinzip der Wirklichkeitsbewältigung überhaupt.
3. Die Universalität wird neu: Welt ist voll von unterschiedlichen Gedanken und Entwürfen, die miteinander leben müssen; und ich lebe nur so im Ganzen, daß ich in dieser Einheit des Ganzen eine Vielfalt bewältige. Toleranz, Pluralismus, Relativität der Wahrheit spielen in der Neuzeit notwendigerweise eine Rolle.]
Subjekterfahrung, Konstruktions- oder Machbarkeitserfahrung, Pluralität und ein daraus kommender Pluralismus des Denkens, das sind die großen Erfahrungen der Neuzeit. Die haben ihre Grenzen, die haben ihre Fatalitäten, aber wir können sie nicht übersehen und übergehen.
Es ist ein bißchen banal, aber auch etwas dran, wenn ich sage: In der Hoffnung auf ihre große Tradition hat Kirche ein bißchen die Neuzeit verschlafen, hat sie [diese] nicht in dem Sinn ernstgenommen, daß hier eine fundamental andere Erwartungs- und Erfahrungsqualität wächst, als sie bisher da war. Und nun lebt in dieser Welt mehr und mehr der Mensch, und was ihm bloß tradiert wird als ehrwürdig und gültig, das kommt in die dreifache Mühle des sich auf sich selber berufenden Subjekts, der Machbarkeit und Kontrollierbarkeit und des Aussetzens an andere Denkentwürfe, bei denen nicht im vorhinein selbstverständlich ist, daß der meine der richtige ist.
Dies kann nicht als böser Modernismus abgetan werden, dem können wir uns auch nicht nur mit Augenzwinkern nahen. Das erfordert eine Auseinandersetzung, die ungeheuerlich ist und die letztlich dazu führt, daß große Schwierigkeiten entstehen, das, was mir überliefert wird, vom Glauben her zu korrelieren mit dem, was mehr und mehr meine Welterfahrung wird. Diese Unkorrelierbarkeit der Erfahrung mit den Kategorien des Glaubens hat es an sich, daß eben auch mit einer Korrelationsdidaktik der Verdacht einer zu optimistischen und schnellen Versöhnung von Lebenswelt und Glaubenswelt verbunden ist.