Einleitung zum Dokument: Der priesterliche Dienst
Ekklesiologischer Bezug
Die Spannung zwischen missio und communio zeigte sich als der „gemeinsame Nenner“, um den Dienst Christi, der Apostel, der Kirche und der Priester zu verstehen. Führt solche Betrachtungsweise indessen nicht dazu, die Unterschiede zu verwischen? Setzt sie nicht die Aufgabe des Priesters einfachhin mit der der Kirche gleich und leistet so einem neuen Klerikalismus priesterlicher Allzuständigkeit Vorschub?
Die wichtigsten Elemente einer Antwort auf diese Frage wurden bereits genannt: die Grundstruktur der Kirche besteht im Gegenüber von Hirt und Gemeinde, in dem sich der Unterschied zwischen dem gemeinsamen Priestertum der Kirche und dem besonderen der Hirten artikuliert. Innerhalb dieses Beziehungsfeldes zeigt sich freilich ein eigentümliches Zugleich von Einheit und Unterschied zwischen Priester und Kirche. Dies gilt sowohl für die missio als auch für die communio.
In der Tat umfängt die Sendung des Priesters in gewisser Weise die gesamte Sendung der Kirche. Der Dienst am Glau- [31] ben, an Gottes Wort, der Dienst der Versöhnung und Vereinung aller miteinander und mit Gott im Sakrament, die Sammlung der Gemeinde und die Ordnung ihrer Dienste: solches bezieht sich doch aufs Ganze kirchlichen Lebens. Gleichwohl ist gerade in der Sorge ums Ganze auch der entscheidende Unterschied priesterlichen Dienstes angesprochen. Denn das „Gegenübersein“ des Priesters zur Gemeinde hat nicht den Sinn, das gesamte Leben und den gesamten Dienst der Gemeinde selbst „zu machen“, sondern den Raum der Freiheit und der Einheit zu gewährleisten, in welchem sich die Vielzahl eigenständigen, unplanbaren Lebens aus dem Glauben entfalten kann. Der synodale Text spricht vom „Geist der Katholizität“ als dem Sinn der universalen Sendung der Kirche, dessen Konsequenz für den Priester es sei, alle Gaben des Geistes gerne anzuerkennen, ihnen den entsprechenden Freiheitsraum zu eröffnen und sie aufs Wohl des Ganzen hinzuordnen (vgl. 14; vgl. auch 23). So erscheint es durchaus konsequent, daß vom priesterlichen Dienstamt einerseits gesagt wird, es trage Verantwortung für das Fortdauern des wesentlichen Werkes der Apostel in der Kirche, daß es andererseits aber im Verhältnis zu den vielen Charismen und Dienstleistungen als ein Dienst unter anderen bezeichnet wird (vgl. 12).
Priesterlicher Dienst ist Dienst an der communio der Kirche und wird zugleich von der communio getragen. Aus diesem Verhältnis zur communio wächst ihm indessen wieder eine dialektische Bestimmung zu. Zwar fordert der Dienst an der communio das konkrete Kommunizieren des Priesters mit dem Leben derer, für die er da ist; dennoch erfordert diese communio genauso einen „Unterschied“. Der synodale Text zitiert eine Stelle aus dem konziliaren Priesterdekret (PO 3), nach der die Absonderung des Priesters nicht den Sinn habe, ihn von der Gemeinde oder von den Menschen zu trennen, sondern ihn freizusetzen für seinen Auftrag (vgl. 17.1). Der Priester soll für jeden offen und für alle verfügbar sein, er soll alle in die Einheit des Lebens Christi einfügen. Deshalb muß aber seine Nähe zu allen und zu jedem aus der Freiheit einer Distanz erwachsen, die sich an keinen einzelnen bindet. Der Priester braucht in seinem Inneren einen Raum, der nicht durch einen bestimmten Menschen oder ein bestimmtes Ziel [32] besetzt ist, sondern ganz für den Gott offensteht, der sich allen zuwendet. Damit ist keineswegs gesagt, daß konkrete menschliche Bindungen die Offenheit für Gott schlechthin versperren müßten; das Spezifische des priesterlichen Dienstes erfordert jedoch eine spezifische Freiheit: die Freiheit der totalen communio mit Christus, der sich an alle verschenkt und sie so gerade in seine communio einlädt. Von diesem Hintergrund aus sind sowohl die Aussagen des synodalen Dokuments über profane und politische Tätigkeit des Priesters wie auch die über den Zölibat zu sehen. Ihr Zielpunkt ist gerade der spezifische Dienst des Priesters an der communio. Diese Sicht geht auch in die synodale Aussage über das geistliche Leben des Priesters ein (vgl. 19). Denn hier wird die gegenseitige Implikation von pastoraler Zuwendung zu den Menschen und intimem Leben mit Gott betont. Der Gott, zu dem der Priester sich wendet, ist der „Gott für alle“; die Menschen, für die er da ist, sind jene, die Gott in seinem Herzen trägt. Die Konsequenz kann indessen nicht darin bestehen, daß Seelsorge das geistliche Leben oder geistliches Leben die Seelsorge ersetze, sondern darin, daß beide sich auseinander nähren.
Die Dialektik zwischen der „Absonderung“ des Priesters und seinem Dasein für alle ist nicht die einzige, die sein Verhältnis zur communio kennzeichnet. Der Priester ist im Regelfall für eine konkrete Gemeinde bestimmt; gleichwohl darf, gerade um dieser Gemeinde willen, sein Dienst sich nicht in ihr schließen; denn der Priester ist der Garant nicht nur ihrer inneren communio, sondern zumal der übergreifenden communio der einzelnen Gemeinde mit der Kirche im ganzen, wobei der Weg über das eigene Bistum führt (vgl. 14.1–2). Gerade heute ist diese umgreifende Sicht priesterlichen Dienstes wieder von besonderem Belang. Einerseits wird deutlicher als früher erkannt, daß eine einzelne Gemeinde nicht bloß die Ortsgruppe der Weltorganisation Kirche ist, sondern daß Kirche entsteht im je neuen Sich-Versammeln der Gemeinde um das Wort und die Liebe des Herrn. Anderseits ist ebenfalls gerade heute in der eins werdenden Welt das eine Zeugnis der Kirche für den einen Herrn dringend erforderlich. Schon in der funktionalen Anpassung des priesterlichen Dienstes an die gesellschaftlichen Verhältnisse ergeben sich immer mehr [33] Aufgaben, die nicht im Blick auf eine einzelne Gemeinde allein wahrzunehmen sind. Priesterlicher Dienst kann nur fruchtbar werden in der übergreifenden communio des Bistums, ja der überdiözesanen Zusammenarbeit (vgl. 21.11).
Daher bekommt die grundsätzliche Aussage, daß priesterlicher Dienst gemeinsamer Dienst im Presbyterium des Bischofs ist, neues Profil (vgl. 14.1; 21). Verfügbarkeit für die Kirche aus der Gemeinschaft des Dienstes mit dem Bischof und miteinander sind Grunderfordernisse priesterlicher communio. So ist die Verankerung von Dienst und Leben des einzelnen Priesters im Dienst und Zeugnis seiner Mitpriester und ist auch der vertrauensvolle Umgang mit dem Bischof, die Nähe zu ihm und die Gemeinschaft mit ihm, von hohem Belang. Der synodale Text spricht davon ausdrücklich, wenn auch nur in allgemeinen Umrissen (21–22). Sonderprobleme, die hier behandelt werden, sind der Priesterrat als Vertretung des diözesanen Presbyteriums und Organ seines gemeinsamen Handelns mit dem Bischof (21.9–10), die überdiözesane Zusammenarbeit von Bischöfen und Priestern (21.11), die Stellung der Ordenspriester im Presbyterium (21.12; 22.4), die Eingliederung von Priestergruppen in die Einheit des Presbyteriums (22.3). Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Frage eines überdiözesanen Ausgleichs, um personelle und wirtschaftliche Notstände gemeinsam zu beheben (vgl. 24.2).
Die Notwendigkeit einer spezifischen communio der Priester mit dem Bischof und miteinander im Interesse ihrer gemeinsamen Aufgabe für die communio der Kirche ersetzt oder schmälert selbstverständlich nicht die andere Notwendigkeit, daß es zu einer intensiven, geistlich und institutionell gestützten Zusammenarbeit der Priester mit den Laien auf allen Ebenen kommen muß. Hierzu macht das synodale Dokument nur knappe Anmerkungen (23). Nachdrücklich wird zum Beispiel die Einrichtung diözesaner Pastoralräte empfohlen (22.3).
Das Votum der Mehrheit der Synode gegen die Zulassung verheirateter Männer zum Priestertum ist nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Überlegungen zur spezifischen communio zu sehen. Priesterlicher Dienst ist, wie betont, heute [34] besonders dringlich auf den „übergemeindlichen“ Zusammenhang der Kirche hingeordnet; er ist gemeinsamer Dienst im Presbyterium, der eine hohe Verfügbarkeit verlangt; sie wird durch die ehelose Lebensform erleichtert. Es erschien vielen Synodalen daher richtiger, auf der Ebene der Gemeinde andere pastorale Dienste zu wecken und zu fördern (manche dachten besonders an den Diakon), als die Stütze der gemeinsamen Lebensform des Presbyteriums aufzugeben. Die Unteilbarkeit der Situation auf Weltebene schien eine übernationale Priesterplanung eher nahezulegen als eine punktuelle Abweichung von dem, was aus grundsätzlicher Erwägung als richtig erschien.