Einleitung zum Dokument: Der priesterliche Dienst

Weltbezug

Die Situationsanalyse, welche das Dokument (2–8) einleitet, liefert zwar nicht statistisches Material über die Entwicklung der Priesterfrage – das zudem auf Weltebene nur in recht unterschiedlicher und kaum vergleichbarer Art und Qualität zu beschaffen gewesen wäre –, sondern sie bezieht die Fragen, in die das Selbstverständnis und der Dienst des Priesters heute geraten, auf die Situation der Kirche und der Welt. „Heil“ hat, nach dem Dokument, eine geschichtliche Perspektive: der Weg der Welt und der Menschheit führt in die Vollendung der Gottesherrschaft, in der Gott alles in allem sein wird (vgl. 2.1; 1 Kor 15,28). Dieser Weg hat immer wieder seine schmerzlichen Umbrüche, und es ist Aufgabe der Kirche, auch in ihnen mit der „Welt“ zu kommunizieren. Ihre Erschütterungen zittern in der Kirche mit. Sie darf sich weder verschließen noch sich bloß anpassen. Sie muß und kann aber mit-leidende und mit-tätige Hermeneutik des Welt-Geschehens auf seinen Sinn, und das heißt auf Jesus Christus hin, leisten, und das versucht das synodale Dokument. Im Kontext der Situation sieht es vor allem folgende Fragen an den Priester gestellt: Soll der Priester, als Träger der Sendung der Kirche in die Welt, sich nicht selbst radikal „säkularisieren“ (vgl. 3)? Kann er in unserer Zeit, die allem Sakralen und Rituellen weithin entfremdet ist, den Dienst der Sakramente noch als glaubhafte Gestalt der Gegenwart des Handelns Gottes den Menschen zumuten (vgl. 4a)? Wie kann er – einerseits in einer „hierarchisch“ strukturierten Kirche, andererseits in einer Situation, die immer [28] stärker zur „Angleichung“ der Dienste und Kompetenzen in der Kirche führt – communio als Grundzug der Kirche verwirklichen und gleichwohl eine erkennbare Kontur des spezifisch Priesterlichen finden (vgl. 4b und 5)? Gibt der Blick auf Geschichte und Ursprung der Kirche, wie ihn historische Wissenschaft und vor allem Exegese erschließen, noch hinreichend Anhalt, um an der traditionellen Bestimmung des Priestertums festzuhalten (vgl. 6)? Diese Fragen artikulieren sich in den verschiedenen Weltregionen verschieden; dennoch sind sie der Kirche als ganzer gestellt. Die Synode sieht beides (vgl. 8).

Alle diese Fragen sieht der Text im Zusammenhang der inneren Spannung heutiger Kultur (7). Der Mensch hat sich so radikal selbst in der Hand wie noch nie zuvor. Zukunft wird weithin planbar und machbar. Die Menschheit kommt nicht umhin, diese Zukunft als ihr gemeinsames Werk zu organisieren. Gerade auf diese Weise aber erhält die Zukunft und von ihr aus bereits die Gegenwart eine neue Unheimlichkeit für den Menschen. Welt wird zum Apparat, der funktioniert, der darin aber den einzelnen und seine Freiheit verschlingt. Kommunikation fällt immer schwerer, Sinn wird im Sog des Produzierens und Konsumierens immer fraglicher, Angst breitet sich aus. Die beiden Versuchungen – außer der zur baren Verzweiflung – sind Fortschrittsideologie, die alles und sogar das Paradies eines universalen Glücks herstellen zu können wähnt, sowie Flucht ins ungeschichtliche Niemandsland weltloser Versenkung und selbstgenügsamer Abgeschiedenheit. Verkürzung auf eine absolut gesetzte „Horizontale“ der Evolution, des Fortschritts, der Mitmenschlichkeit oder – heute wieder wachsend – Rückzug in eine pure „Vertikale“ ohne Übersetzung ins Außen und ins Miteinander sind die Scheinlösungen von heute. Der synodale Text sieht in der Bruchstückhaftigkeit solcher Versuche einen Verweis auf den, welcher die umfassende Synthesis Gottes selber ist, auf Jesus Christus: in ihm bilden Gottes- und Nächstenliebe eine unzerreißbare Einheit; er wendet die Menschen hin zum Vater, führt sie so aber gerade in die Hinwendung des Vaters zur Welt; er setzt in seinem Dienst an allen und in seiner Hingabe für alle das Sakrament der Liebe, die vom Vater kommt und zum Vater führt (vgl. 7.5).

[29] Die Synthesis, die Christus ist, ist aber auch Wesen und Auftrag der Kirche. Es ist ihr „Weltauftrag“, die Fluchtbewegung aus der Welt zum Dienst an der Welt, das Aufgehen in der Welt zur Offenheit für den Gott, der die Welt allein vollenden kann, umzuwenden. Das Christusgeheimnis rückt die Kirche ganz und gar in die „Situation“; gerade ihr Innerstes und Unaufgebbares macht sie gleichzeitig mit der Zeit. Und an dieser entscheidenden Stelle der Sendung der Kirche ist der Ort des Priesters. Wenn er die Gemeinde sammelt um das Wort des Herrn und in seiner sich sakramental verschenkenden Liebe, dann bildet sich jenes Ferment, dessen die Welt bedarf, um aus ihrer inneren Aporie herauszukommen. Dies zu wissen, beschert dem Priester noch nicht sofort ein Erfolgserlebnis; zwischen der grundsätzlichen Einsicht in seinen Weltauftrag und der Weise, ihn Gestalt werden zu lassen, liegen ungezählte Ratlosigkeiten und Schwierigkeiten. Aber die Aufgabe, in der Einheit der Gemeinde die Einheit von missio und communio und darin die Einheit von Gottesdienst und Weltdienst sichtbar und wirksam werden zu lassen, ist jedenfalls alles eher als gestrig und zukunftslos. Von der Synthesis, die Jesus Christus ist, indem er sich weggibt, setzt alsdann im Lehrteil (vgl. 9) die positive Entwicklung priesterlichen Dienstes an. Die auf Jesus Christus hin zu lesende Situation ist so als das Vorzeichen vor die Klammer zu setzen, in der von Jesus Christus her der Dienst der Kirche und in ihm der besondere Dienst des Priesters entwickelt werden.

Aus der fundamentalen Zuwendung des Auftrags der Kirche und des Priesters zur Welt zieht die Synode indessen nicht die Konsequenz, daß priesterliches Handeln primär gesellschaftliches und politisches Handeln sein müsse (hierzu und zum folgenden vgl. 15 und 18 im ganzen). Zwar wird der Grundsatz aufgestellt, jedes wahrhaft christliche Handeln sei auf das Heil der Menschen ausgerichtet, das gerade um seines eschatologischen Charakters willen auch das Zeitliche mitbetrifft, weil eben Christi Herrschaft unteilbar ist. Doch ist diese Herrschaft Christi nicht ein Titel für einen alten oder neuen Integralismus der Kirche, der die Autonomie der irdischen Ordnungen und somit die verschiedenen Zuständigkeiten auch innerhalb der Kirche außer acht ließe. Das prophetische Zeugnis gegen Unge- [30] rechtigkeit und Unmenschlichkeit, die Orientierung des menschlichen Gewissens durch das verkündende Tun ist durchaus priesterliche Aufgabe. Freilich muß im Handeln des Priesters nicht nur der evangelische Unterschied der Gewaltlosigkeit mit letzter Konsequenz gewahrt werden – er wird grundsätzlich für alles gesellschaftliche Handeln der Christen gefordert –, sondern es muß auch der Dienst an der Einheit, der Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Konzepte versammelt und ihre legitime Freiheit respektiert, als Richtmaß für den politischen und prophetischen Einsatz des Priesters beachtet werden. Was immer er an politischen, aber auch an allgemein profanen Aufgaben übernimmt, muß daraufhin kritisch überprüft werden, ob es dem fundamentalen Sinn seines priesterlichen Dienstes in der jeweiligen Situation entspricht oder ob es ihn verdunkelt. Die Entscheidung kann hier der Priester nicht allein treffen; es bedarf des gemeinsamen Sehens und Urteilens mit dem Bischof und dem Presbyterium. Eine politische Führungsrolle widerspricht nach dem Urteil der Synode beinahe immer den spezifischen Aufgaben des Priesters.