Zur Entwicklung der nachkonziliaren Räte in der Bundesrepublik
Ablösung des alten Katholizismus
Das Wort Katholizismus und jene gesellschaftlichen Phänomene, die es vor allem anspricht, erregen heute weithin, nicht zuletzt bei vielen Mandatsträgern der Räte, Unbehagen. Was versteht solches Unbehagen indessen unter Katholizismus? Eine Mentalität, die für alle Fragen der Kultur, der Gesellschaft und der Welt eine typisch katholische Lösung und Haltung bereit hatte und Organe dafür ausbildete, diese Lösung und Haltung zu vertreten und zu verbreiten; dieses strukturelle Netz war das einzige, in welchem auch Laien sich aktiv beteiligen durften, während die gemeindliche Gliederung klerikal autark daneben zu stehen schien. Freilich wird ein solches Bild von Katholizismus der geschichtlichen Wirklichkeit von gestern nicht ganz gerecht. In der Tat hat sich allerdings nicht nur durch die plurale, desintegrierte Entwicklung aller Wirklichkeitsbereiche Wichtiges geändert, sondern auch infolge der Beteiligung aller Glieder des Volkes Gottes am gesamten kirchlichen Leben, gerade auch an dem der Gemeinde und der Diözese. In der Folge dessen anerkennen viele engagierte Katholiken heute kaum mehr andere Gliederungsprinzipien als die der Gemeinde oder der Solidarisierung innerkirchlicher Funktionen und Interessen im Blick auf die Mitbestimmung am Gesamt kirchlichen Lebens und Handelns. An die Stelle alter, in gesellschaftlichen Funktionen, Ständen und Berufen gegebener Solidarisierungsprinzipien treten neue. So aber bildet sich in der Gegenwendung gegen den bisherigen Katholizismus ein neuer heraus, der weithin – wenn auch von anderem Ansatz her – parallele Züge mit dem kritisierten trägt. Auf natio- [20] naler und übernationaler Ebene kommt es zu immer weiterreichender Solidarisierung von verschiedenen Räten, die unmittelbar jeweils der Lebenseinheit eines Bistums oder eines Landes zugeordnet sind. Es wäre töricht, Recht und Notwendigkeit neuer Solidarisierungsprinzipien in einer neuen Stunde der Gesellschaft zu bestreiten. Wenn diese jedoch zu auf sich selbst konzentrierten Strukturen führen, bei denen es primär um Interessen und Einfluß geht, könnten sie in ein neues Getto – die Kehrseite eines neuen Integralismus – hineinführen.