Gestalt als Zeugnis – zu Beethovens letztem Klavierstück*
Absolutes Erzählen: Musikalische Gestalt als religiöses Zeugnis*
Was habe ich Ihnen erzählt? Ich habe Ihnen einfach das Stück erzählt und gestaunt, daß dieses Stück, wenn ich zurückfrage, ob dies alles in ihm steckt, von sich her sagt: „Natürlich steckt es in mir. Aber warum nimmst Du mich so wichtig? Hör mich doch einfach an, ich bin doch ein ganz einfaches Stück!“ – „Immer simpler“, lautet denn auch Beethovens Grundwort für die letzten Stücke. Sein letztes Klavierstück erzählt, indem es verschweigt. Aber was erzählt es, indem es nicht etwas erzählt? Es erzählt einen Gestus! Dieser Gestus drückt sich aus durch die dreimalige kleine Sekunde: der Anfang von oben. Hier steht nicht ein Ich an erster Stelle, im Sinne von „Ich fange an!“ wie etwa in der dritten Symphonie von Beethoven, der „Eroica“. Da sagt einer: „Ich bin der Held, ich fange an!“, da fängt einer selber an mit dem ersten Schlag. Hier, in unserem Klavierstück, fange nicht ich an, sondern ich sinke in den Anfang, ich gerate in den Anfang, ich stimme ein in den Anfang. Anfang wird mir zuteil. Was aber wird, wenn mir dieser Anfang zuteil wird? Läuft alles nur ab? Nein, es gibt das Zögern. Ich bin in die Entscheidung gerufen, es gibt Responsorik in sich. Es kann dahin und dorthin weitergehen. Es gibt die Offenheit dem Anfang gegenüber, die kleine Sekunde des Bebens, des Federns, des Innehaltens. Und dann gibt es zuletzt noch einmal die kleine Sekunde des Schließens. Sie schließt im letzten Takt zugleich nach oben und nach unten. Das Entscheidende ist aber nicht das Nach-oben-Schließen, ist nicht ein Triumph zu sich selber, sondern ganz einfach ein Verweilen in dem zugekommenen Oben und ein Sich-Lassen in dieses Oben. Während im eröffnenden Thema der erste Ton „nicht ich“ bin, sondern der zweite erst „ich“, ist hier also der erste Ton „ich“, der zweite „nicht ich“. Am Schluß steht dieser Kristall.
Ich habe probiert, das Stück im Sinne des methodischen Ansatzes eines Hugo de Groot zu interpretieren, nämlich „etiam si Deus non daretur“. Hören Sie, ob dieses „etiam si Deus non daretur“ in eben dieser Interpretation wirklich durchzuhalten ist, denn das ist für mich die Frage: [279]
Wird nicht in solch absolutem Erzählen die musikalische Gestalt selbst zum religiösen Zeugnis, zum Zeugnis menschlichen Ringens mit dem Gott seines Lebens und Sterbens? Denn wenn Sie mich fragen würden, was sagt dieses letzte Klavierstück Beethovens religiös aus, dann weiß ich keine andere Antwort als die jenes Mannes, der dem Jakob gesagt hat: Warum fragst du mich nach meinem Namen? (1)