Anfang bei der Zukunft: Anfang beim Vater

Adam geht zu Gott – Adam versteckt sich vor Gott

Der Weg des Menschen zu Gott – unthematisch in jener Frömmigkeit des Daseins, die annimmt, vertraut, weitergeht und anheimgibt, thematisch in jener Grundströmung, die menschliche Religion insgesamt trotz aller Verkürzungen, Verdrehungen und Verzerrungen durchzieht – folgt der eben gezeichneten Struktur. Sein wird vollbracht als Hoffen, Vertrauen, Erbitten und Empfangen. Der Mensch traut dem Wort, das im Dasein auf ihn zukommt, und ist offenen Antlitzes zur Antwort bereit. Leben und Welt werden zur unselbstverständlichen Gabe, die mit der Wiedergabe und Rückgabe des Dankes beantwortet wird, das Wort des Seins wird zum Ruf, dem horchend und gehorchend der Mensch sich zu stellen hat. Die eigene Ohnmacht angesichts einer ungewissen Zukunft kann ängstigen – aber diese Angst wird verschenkt ins Vertrauen. Der ursprüngliche Appetit, die ursprüngliche Lust und Sehnsucht nach Sein quält nicht als unstillbarer Hunger, sondern macht das Dasein zum Weg an den Tisch des Festes der Zukunft. Aber stimmt es so? Liegt nicht ein Schatten über solchem Weg? Lastet nicht das eine immer neu: Das Antlitz selbst, die Quelle selbst, das erste und letzte Geheimnis bleiben verdeckt, während wir gehen? Kann ich trauen? Ist es ein gnädiges Antlitz? Täuscht mich nicht das Wort, und narrt mich nicht mein Appetit?

Dieser Schatten geht mit der Menschheit von Anbeginn. Im Blick auf die Offenbarung, aber auch auf elementare menschliche Grunderfahrung dürfen wir sagen: von jenem Anfang an, den der Mensch mit seinem Bruch gesetzt hat: Ich will von mir selber sein, ich will mir selber die Quelle der Zukunft, ich will wie Gott sein. Er entdeckt, daß er nackt ist, er versteckt sich hinter dem Busch. Zwischen ihn und Gottes Antlitz schiebt sich die Re-flexion, die Rückbeugung des Menschen auf sich, seine Krümmung in das eigene Ich [152] als die gewähnte und behauptete Quelle des eigenen Glücks und der eigenen Zukunft hinein.

Um nicht mißverstanden zu werden: Nicht alles Nichtsehen Gottes, nicht alle Angst davor, von ihm gesehen oder nicht gesehen zu werden, rühren von persönlicher Schuld. Aber die Geschichte insgesamt ist davon durchdrungen, daß jene ursprüngliche Stimmigkeit des Gesprächs zwischen dem Menschen und der Quelle seiner Zukunft gebrochen ist. Die gezeichnete Struktur dauert weiter, aber sie ist verschattet, der sich selber sichernde Mensch ist seiner Zukunft, ist des Gottes seiner Zukunft nicht fraglos sicher. Verweisen wir auf drei Grundgestalten solcher Unsicherheit, solcher Beunruhigung und Angst.

Einmal gibt es die Negativ-Erfahrungen im Bereich der tragenden menschlichen Begegnungen. Es ist so: Wir sind einander gegenseitig Zeugen jenes Vertrauens, welches uns Leben lieben und als Gabe Gottes annehmen, als Ruf Gottes wagen läßt. Und wo du mir nicht Zuwendung schenkst, wo ich an deinem Antlitz abpralle, wo dein Wort mich täuscht, da droht jedesmal ein Schleier sich auch vor Gottes Antlitz zu ziehen.

Zum andern: „Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?“ So ein Vers aus Rilkes Duineser Elegien. Der Mensch, verloren an sich, hineingestellt in einen grenzenlosen Raum. Wer nimmt ihn wahr? Der vom Menschen mit seinem Machen und Planen besetzte oder in seiner Unermeßlichkeit ihm zu große, ihn abweisende Raum ängstigt ihn. Am Anfang der Neuzeit entdeckt der Mensch sich zwischen dem unendlich Großen und unendlich Kleinen in einer labilen, nicht tragenden Mitte. „Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume schreckt mich“, formuliert es ein Fragment Pascals.1 Nicht gesehen werden, nicht gehört werden, besser: nicht sehen und hören, daß [153] man gesehen und gehört ist – wie soll da Vertrauen wachsen?

Zum dritten gibt es aber auch die genau gegenläufige Erfahrung: den Blick nicht aushalten können, der sich in mich bohrt. Zitieren wir stellvertretend eine Erinnerung Sartres an seine Jugend:

„Einige Jahre lang verkehrte ich dann noch offiziell mit dem Allmächtigen; auf den privaten Umgang mit ihm hatte ich verzichtet. Ein einziges Mal hatte ich das Gefühl, es gäbe ihn. Ich hatte mit Streichhölzern gespielt und einen kleinen Teppich versengt. Ich war im Begriff, meine Untat zu vertuschen, als plötzlich Gott mich sah. Ich fühlte seinen Blick im Innern meines Kopfes und auf meinen Händen; ich drehte mich im Badezimmer bald hierhin, bald dorthin, grauenhaft sichtbar, eine lebende Zielscheibe.“2

Blick, der nicht Freiheit entbindet, sondern bannt. Gegenüber, das nicht einlädt, sondern entmutigt, bloßstellt. Nicht Gespräch, Examen. Gehen in die Zukunft als Gehen von Gerichtsverhandlung zu Gerichtsverhandlung. Ein Alptraum, eine abgründige Perversion dessen, was im ungebrochenen Bezug spielt. Daß an solchem auch Verzerrungen von Verkündigung und Glaubenspraxis nicht selten Mitschuld tragen, muß gesagt werden.

„Adam, wo bist du?“ (Gen 3,9) – gewiß ist es Gericht, wenn der Mensch, der nur von sich her Zukunft haben und machen will, der Quelle der Zukunft begegnet. Aber wo jener, der Quelle der Zukunft ist, ihn ruft, da knüpft er das Gespräch bereits wieder an. Seit jener Frage an Adam ist der Vater auf der Suche nach dem verlorenen Sohn.


  1. Pascal, Blaise: Pensées, ed. Brunschvicg, Frgm. 206. ↩︎

  2. Sartre, Jean-Paul: Die Wörter, übers. v. Hans Mayer, Reinbek bei Hamburg 1965, 78f. ↩︎