Das Neue ist älter

Ästhetik und Dramatik als Grundzüge „neuer“Theologie

Derselbe Hymnus führt uns in dasselbe Denken noch von einer anderen Seite hinein; auch auf sie soll kurz hingewiesen werden. Sein Anfang lautet: Jesu nostra redemptio, Jesus unsere Erlösung. Also nicht: Jesu noster redemptor, Jesus unser Erlöser. Jesus ist der Sohn, er ist einer, nicht etwas. Aber er umfängt in sich ein Geschehen, ist als er selbst dieses Geschehen: Erlösung. Sicher, er übersteigt dieses Geschehen, ist mehr, wie eben die Quelle mehr ist als das, was ihr entspringt. Aber Quelle ist zugleich Entspringenlassen, das Entspringende ist in ihr geborgen und geht so gerade aus ihr hervor, über sie hinaus. Ja, Jesus ist noch mehr Quelle als die Quelle selbst, er umfängt noch mehr, was er tut, als die Quelle das umfangen kann, was ihr entquillt. Er ist noch mehr Überschuß über das Entsprungene als die Quelle, noch mehr vor ihm und über ihm – und gibt sich zugleich doch noch mehr, gibt sich ganz in das Geschehen hinein, von dem hier die Rede ist: redemptio, Erlösung. Das Geschehnis läßt sich als sein Name, als sein Titel sagen: Jesus, unsere Erlösung. Er ist, daß wir Erlöste sind.

Warum weise ich auf diesen Ausdruck hin? Hier wird ein doppelter Charakter von Theologie sichtbar, der ihr eignen muß, wenn sie die Liebe, die Gott ist, von innen her, das heißt also: im Lichte dieser Liebe selbst, verdanken und verstehen will. Solche Theologie kann sich nicht im Feststellen erschöpfen, sondern sie vollzieht eine doppelte Bewegung Gottes mit, die Bewegung einer Selbstüberbietung und Selbstunterbietung. Die Liebe als unsägliches Geheimnis überbietet sich ins Erscheinen, in die Gestalt, in die Sichtbarkeit, ins Sich-Ereignen, in ihren Aufgang für uns. Und sie unterbietet sich, indem sie sich dabei einläßt ins Rollenspiel des Endlichen, indem sie sich ausliefert als Partner, als Rollenträger in einem geschichtlichen Spiel, in dem Gott selber mitspielt mit uns. Die Überbietung des Ästhetischen und die Unterbietung des Dramatischen, der Aufgang und die Auslieferung gehören zu einem solchen Spiel der Theologie aus der Liebe hinzu. Das „magis“ gehört hinzu, das Je-mehr, in welchem Liebe je vollendet, aber nicht fertig ist, und das „minus“, die Auslieferung und Aussetzung ins Fremde, Andere. Der je höhere Aufgang in die je tiefere Entäußerung, die je größere Herrlichkeit in der je demütigeren Niedrigkeit – diese doppelte Bewegung ist der eine und selbe Rhythmus der Liebe, das gleichzeitige Mehr und Weniger, in welchem die Liebe sich selber gerade gleicht, einholt, entspricht. Indem Jesus nicht nur er selber ist, sondern unsere Erlösung, entsteht die Gestalt, entsteht der Strahlraum seines [86] Aufgangs – und senkt er sich zugleich hinein in unser Leben und Geschick, stiftet er geschehende Communio zwischen ihm und uns. Theologie, die dieses magis und minus, die Aufgang und Entäußerung, Gestalt und Geschehen des göttlichen Ursprungs bedenkt, ist so ästhetische und dramatische Theologie.