Berufung

Alle sind gerufen

Jesus ist am Kreuz der neue Adam. Die neue Rufgeschichte der Menschheit fängt an. Die gesamte Menschheitsgeschichte wird vom Kreuz her nochmals geschrieben. Der neue Adam hat die Schuld des alten auf sich, aber er versteckt sich nicht vor Gott, sondern er schreit diese Schuld der Menschheit hin zu dem Gott, der dieser Schuld wie abwesend, wie versteckt erscheint. Der verlassene Gott wird zum entzogenen Gott des verlassenen Menschen. Aber diese Gottferne selbst wird zum Ruf an den neuen Adam: Adam, wo bist du? Und im Tod löst sich in letzter Konsequenz sein erstes Wort ein: „Ecce, adsum!“ – „Siehe, da bin ich!“

Der neue Adam – in Jesus ist die Menschheit gerufen. Mensch sein heißt aufs neue und wunderbarer als beim ersten Mal: gerufen sein.

[37] Das Zweite Vatikanische Konzil spricht von der Berufung aller zur Heiligkeit (vgl. Lumen Gentium, 39). In der Kirche wird der Ruf Gottes offenbar, und jeder, der zur Kirche gehört, ist hineingenommen in diesen Ruf. Die Heiligkeit, die Vollkommenheit bedeuten die Liebe, jene Liebe, die der Herr bis zum Äußersten, bis zur Vollendung in seinem Leben und Sterben offenbart und vollbracht hat (vgl. Joh 13,1). Liebe, die zugleich Gottes- und Nächstenliebe ist, oder – noch weiter entfaltet –: Liebe zu Gott, Liebe zu jedem Nächsten und Fernsten, gegenseitige Liebe, in der die Einheit des Leibes Christi, der Kirche; wächst. Die drei Richtungen des Kreuzesgeschehens, das nach Ostern führt, somit die Fülle des Paschageheimnisses, sind die Wegrichtungen christlichen Lebens überhaupt. Es ist wesenhaft weltlich, geistlich, kirchlich. Jeder Christ ein Geschenk an die Welt; jeder Christ ein Geschenk an Gott; jeder Christ ein Geschenk an die Kirche, an Bruder und Schwester im Glauben.

Und auch die vier Momente des Nachfolgeweges wirken hinein in jedes Christenleben. Jeder hat auf seiner Habe, auf seinen Ansprüchen, auf seinem Lebensstil die Hypothek Christi, die Hypothek des Lassens, Helfens und Teilens. Jeder steht unter dem Vorbehalt des Willens Gottes, der uns nur Gott ist, wenn er die Pläne und Konzepte unseres Lebens bestimmen und auch ändern darf. Es braucht für jeden den Gehorsam, zu hören auf das, was Gott uns ein für allemal gesagt hat; zu hören aber auch auf die Stimme, die im Heute, im Geschick und in der Anforderung verlautet, die jetzt auf uns zukommen. Jeder ist gerufen, mit lauterem Herzen Gott zu verherrlichen in seinem Leibe, das Wort, das er mit seinem Leibe sagt, im Tun, im Leiden, im Lieben Ausdruck jener Liebe sein lassend, die ihn geschaffen und erlöst hat. Dabei stehen die „Spielarten“ christlich gelebter Ehe und christlich erfüllter Ehelosigkeit gleichermaßen provozierend dem entgegen, was gang und gäbe ist; auch dies wird ja mehr und mehr zum [38] unselbstverständlichen Zeugnis: Leben weiterzugeben, auszutragen und durchzutragen. Schließlich ist jeder Christ gerufen ins Für und Mit, in jene Kommunion, die mehr und anderes ist als bloß zweckdienliche Kommunikation, die einfach Mitsprechen jenes Ja ist, das Gott unteilbar in Jesus Christus zu mir und zu den anderen gesprochen hat und das uns zusammenbindet.